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Jeremias Gotthelf läßt uns diplomatischerweise im Unklaren, ob er nur als poetische Figur oder als baare Münze zu nehmen sei. Seine tugendhaften Helden sind alles konservative Altgläubige, und der Gott Schriftsteller mit der schicksalverleihenden Feder weiß sie nicht anders zu belohnen, als daß sie entweder reich und behäbig sind, oder es schließlich werden. Die Lumpen und Hungerschlucker aber sind alle radikale Ungläubige und ihnen ergeht es herzlich schlecht. Spott und Hohn treffen sie um so schärfer, je länger ihnen der Bettelsack heraushängt und je dürrer ihre Felder stehen. Dieß ist ganz in der Ordnung; denn nicht anders verhält es sich in der Wirklichkeit. Das Volk, besonders der Bauer, kennt nur Schwarz und Weiß, Nacht und Tag, und mag nichts von einem thränen- und gefühlsschwangeren Zwielichte wissen, wo niemand weiß, wer Koch oder Kellner ist. Wenn ihm die uralte naturwüchsige Religion nicht mehr genügt, so wendet es sich ohne Übergang zum direkten Gegentheil, denn es will vor allem Mensch bleiben und nicht etwa ein Vogel oder ein Amphibium werden. Und damit wollen wir uns zufriedengeben und es nicht stark zu Herzen nehmen, wenn die weisen Herren vom Stuttgarter „Morgenblatt“ unlängst sagten: der Atheismus (oder was sie darunter verstehen) werde in der guten Gesellschaft Deutschlands nun schon nicht mehr geduldet. Wo diese „gute Gesellschaft“ zu suchen ist, weiß ich freilich nicht. Vielleicht ist etwa ein Stuttgarter Abendkränzlein damit gemeint, wo man den schwäbischen Jungfräulein aus dem ungeschickten und flachen Buche des Herrn Oersted vorliest; oder vielleicht besteht die gute Gesellschaft aus jenen erleuchteten germanischen Kreisen, in welchen man deutsche Literaturgeschichte in den

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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_126.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)