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mit denselben, und es gehört ein Rafael dazu, jeden Strich stehen lassen zu können, wie er ist. Wie manche Blume, die man in aufgeregter Abendstunde glaubt gepflückt zu haben, ist am Morgen ein dürrer Strohwisch! Wie manches schimmernde Goldstück, welches man am Werktage gefunden, verwandelt sich bis an einen stillen heitern Sonntagmorgen, wo man es wieder besehen will, in eine gelbe Rübenschnitte! Man erwacht in der Nacht und hat einen sublimen Gedanken und freut sich seines Genies, steht auf und schreibt ihn auf beim Mondschein, im Hemde und erkältet die Füße: und siehe, am Morgen ist es eine lächerliche Trivialität, wo nicht gar ein krasser Unsinn! Da heißt es aufpassen und jeden Pfennig zweimal umkehren, ehe man ihn ausgibt! Da hilft weder blindes Gottvertrauen noch Atheismus; es passirt jedem, der nicht feuerfest oder vielmehr wasserdicht ist. Goethe hat gut sagen: „Gebt ihr euch einmal für Poeten, so kommandirt die Poesie!“ welchen Spruch ein tüchtiger Prosaiker meiner Bekanntschaft jungen Dichtern unter die Nase zu reiben pflegte, wenn sie von Stimmung sprachen. Der wackere Mann dachte nicht daran, daß Goethe den „Faust“, wo selbiges Sprüchlein geschrieben steht, ein ziemliches Stück Leben lang mit sich herumtrug, ehe er ihn drucken ließ. Und seltsam! gerade die Stimmung ist manchmal die gefährlichste Schlange für hoffnungsvolle Dichter. Wie manches Blatt Papier, welches man in „guter Stunde“ vollgeschmiert, kommt Einem nach einem halben Jahre so schauerlich vor, daß man vor sich selbst in die Erde kriechen möchte, roth wie ein Krebs, und dem Himmel dankt, daß man selbst und nicht etwa ein Nachlaßherausgeber hinter die Sache gekommen ist!

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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_124.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)