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Fortsetzung des Buchs herausgegeben: „Uli der Pächter“. Es sind zwei ziemlich starke Bände und können gewissermaßen Gotthelf’s Hauptwerk genannt werden. Es ist ein großes Verdienst dieses Volksbuchs, daß die Fortsetzung nicht etwa ein abgeschwächter zweiter Theil zum „Faust“, oder zum „Meister“, oder eine mißlungene Fortsetzung des „Geisterseher“ u. s. w., sondern in ihrem vollen Rechte eine wahre nützliche Fortsetzung ist. In diesem Uli ist das Schicksal eines Bauers dargestellt, welcher sich vom armen hoffnungslosen Knechte herauf zu einem tüchtigen Pächter, und zuletzt zum großen Bauer und Eigenthümer hinaufschwingt. Es handelte sich hier nicht darum, einen brillanten Charakter zu wählen, welcher im Kampfe mit finstern Dämonen und feindlichen Mächten Heldentugenden im großen Maßstabe entfaltet und mit einem Effekt von der Bühne tritt; sondern mit meisterhafter Hand hat Gotthelf einen ganz gewöhnlichen Menschen genommen, gesund und kräftig an Leib und Seele, aber eher etwas beschränkt als geistreich, wenigstens allen Einflüssen offen, und für das Gute und das Böse fast gleich empfänglich. Nicht große geniale Thaten können eine solche Natur auf einen grünen Zweig bringen, sondern Fleiß, Gewissenhaftigkeit und die unbedingteste Ehrlichkeit; ohne diese wird er ein Stümper in seinem Berufe, ein kümmerlicher Geselle, welcher den Fleiß durch Spekulationen, Sachkenntniß durch grundsatzloses Experimentiren, Gewissenhaftigkeit durch erbärmliche Kniffe und Schlauheiten ersetzen will und daher zu Grunde geht. Hat der Schriftsteller einen solchen Charakter zu einem guten Ziele geführt, so kann jeder Leser ihm folgen, und hat die gerechte Hoffnung, ebendahin zu gelangen.

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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_102.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)