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Jeremias Gotthelf.

I.[1]
(1849)
Die Verlobten gingen miteinander über die Wiese, da raufte Reinhard jene Pflanzen aus und zeigte Lorle den wundersam zierlichen Bau des Zittergrases und die feinen Verhältnisse der Glockenblume. „Das gehört zu dem Schönsten, was man sehen kann,“ schloß er seine lange Erklärung. „Das ist eben Gras,“ erwiderte Lorle, und Reinhard schrie sie heftig an: „Wie du nur so was Dummes sagen kannst, nachdem ich schon eine Viertelstunde in dich hineinrede.“

Diese gute Stelle kommt vor in Auerbach’s „Frau Professorin“. Sie machte mich augenblicklich stutzen. Wie, dachte ich, sollte diese Stelle am Ende bezeichnend sein für die ganze Dorfgeschichten-Literatur? „Das ist eben Gras!“ Sollte das Volk vielleicht den Schilderungen seines eigenen alltäglichen Lebens einen ähnlichen Titel geben, nachdem wir Gebildeten und Studirten schon eine Viertelstunde und länger in dasselbe hineingeredet haben? Wenigstens haben wir keinen Beweis vom Gegentheil; denn wir haben überhaupt noch gar keinen Bericht, ob unsere Volksschriftsteller in den Hütten des Landvolks ebenso bekannt seien, wie in den Literaturblättern


  1. Blätter für literarische Unterhaltung 1849, No. 302–305. (Besprechung von „Uli der Knecht“ 1846, und „Uli der Pächter“ 1849).
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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_093.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)