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854 Methodenlehre IV. Hauptst. 854

nichts als Schein, nur der Verstand erkent das Wahre. Darum stritten aber die ersteren den Verstandesbegriffen doch eben nicht Realität ab, sie war aber bey ihnen nur logisch, bey den andern aber mystisch. Jene räumeten intellectuelle Begriffe ein, aber nahmen blos sensibele Gegenstände an. Diese verlangten, daß die wahren Gegenstände blos intelligibel wären und behaupteten eine Anschauung durch den, von keinen Sinnen begleiteten und ihrer Meinung nach nur verwirreten reinen Verstand.

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 2. In Ansehung des Ursprungs reiner Vernunfterkentnisse, ob sie aus der Erfahrung abgeleitet, oder, unabhängig von ihr, in der Vernunft ihre Quelle haben. Aristoteles kan als das Haupt der Empiristen, Plato aber der Noologisten angesehen werden. Locke der in neueren Zeiten dem ersteren und Leibnitz, der dem lezteren (obzwar in einer gnugsamen Entfernung von dessen mystischem Systeme) folgete, haben es gleichwol in diesem Streite noch zu keiner Entscheidung bringen können. Wenigstens verfuhr Epikur seiner Seits viel consequenter nach seinem Sensualsystem (denn er ging mit seinen Schlüssen niemals über die Gränze der Erfahrung hinaus), als Aristoteles und Locke, (vornehmlich aber der leztere,) der, nach dem er alle Begriffe und Grundsätze von der Erfahrung abgeleitet hatte, so weit im Gebrauche derselben geht, daß er behauptet: man könne das Daseyn Gottes und die Unsterblichkeit der Seele (obzwar beide Gegenstände ganz ausser den Gränzen

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_854.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)