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836 Methodenlehre III. Hauptst. 836

entweder historisch oder rational. Die historische Erkentniß ist cognitio ex datis, die rationale aber cognitio ex principiis. Eine Erkentniß mag ursprünglich gegeben seyn, woher sie wolle, so ist sie doch bey dem, der sie besizt, historisch, wenn er nur in dem Grade und so viel erkent, als ihm anderwerts gegeben worden, es mag dieses ihm nun durch unmittelbare Erfahrung oder Erzählung, oder auch Belehrung (allgemeiner Erkentnisse) gegeben seyn. Daher hat der, welcher ein System der Philosophie z. B. das wolfische, eigentlich gelernt hat, ob er gleich alle Grundsätze, Erklärungen und Beweise, zusamt der Eintheilung des ganzen Lehrgebäudes im Kopf hätte und alles an den Fingern abzählen könte, doch keine andere als vollständige historische Erkentniß der wolfischen Philosophie; er weis und urtheilt nur so viel, als ihm gegeben war. Streitet ihm eine Definition, so weis er nicht, wo er eine andere hernehmen soll. Er bildete sich nach fremder Vernunft, aber das nachbildende Vermögen ist nicht das erzeugende, d. i. das Erkentniß entsprang bey ihm nicht aus Vernunft und, ob es gleich, obiectiv, allerdings ein Vernunfterkentniß war, so ist es doch, subiectiv blos historisch. Er hat gut gefaßt und behalten, d. i. gelernet und ist ein Gipsabdruck von einem lebenden Menschen. Vernunfterkentnisse, die es obiectiv sind, (d. i. zu anfangs nur aus der eigenen Vernunft des Menschen entspringen können) dürfen nur denn allein auch subiectiv diesen Nahmen führen, wenn sie aus allgemeinen

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_836.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)