Seite:Kandide (Voltaire) 188.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Voltaire: Kandide. Erster Theil

meine Schwester in der Küche eines zu den Türken geflüchteten Siebenbürgischen Fürsten?

Aber wie ist’s möglich, trauter Panglos, rief Kandide, wie ist es möglich, daß ich Sie wiedersehe? Sonderbar mus es Ihnen freilich dünken, sagte Panglos, da Sie mich haben hängen sehn. Nach der Regel hätt’ ich müssen verbrannt werden. Sie werden Sich aber noch erinnern, daß es regnete, als gösse es mit Mulden, grad’ als ich sollte geschmort werden. Dies Schlakkerwetter ward so heftig, hielt so lang an, daß man das Holz gar nicht zum Brennen bringen konnte. Da war also kein bessrer Rat, als mich hängen.

Ein Feldscheer kaufte meinen Leichnam, nam ihn mit nach Hause, und hub ihn an zu seziren. Er begann sogleich mit einem Kreuzschnitt vom Nabel an bis zum Schlüsselbein herauf. Erbärmlicher, wie ich, war wohl noch niemand gehängt worden. Der Vollstrekker der hochnotpeinlichen Halsgerichtsbarkeit bei der heiligen Inquisition, der Unterdiakonus war, verstand sich zwar perfekt darauf, Leute zu verbrennen, aber das Hängen war seine Sache gar nicht. Der Strik war nas, glitschte also nicht, und er schlug einen ganz jämmerlichen Knoten.

Kurz, ich hatte noch Leben, beim Kreuzschnitt schrie ich so laut auf, daß der Feldscheer

Empfohlene Zitierweise:
Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_188.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)