Seite:Kandide (Voltaire) 128.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Voltaire: Kandide. Erster Theil

Er kam durch die Vorstadt St. Marceau hinein, und glaubte sich in dem schmuzigsten Dorfe Westphalens zu befinden. Kaum war er im Gasthofe angekommen, so befiel ihn eine kleine Unbäslichkeit; eine Frucht seiner Strapazen. Da er einen ausserordentlich grossen Diamanten an seinem Finger hatte, und man unter seinem Gepäk eine recht vollwichtige Schatulle wahrgenommen hatte, so fanden sich gleich unverlangt zwei Ärzte, einige sehr warme Freunde, und zwei Beguinen ein, die ihm seine Suppen wärmten.

Ich erinnre mich doch auch krank gewesen zu sein, sagte Martin, wie ich zuerst in Paris ankam; da waren aber – denn ich war rattenkahl – weder Freunde noch Ärzte, noch Beguinen, und ich genas doch.

Durch das viele Arzeneien und Aderlassen ward Kandide endlich in vollem Ernste krank, recht gefährlich krank. Der Habituus [1] des Viertels kam zu ihm und bat, er möchte doch einen Pas an Sankt Petern mitnemen, damit er ihn gleich zum Himmelspförtchen einliesse.


  1. Habituus Geistlicher, der mit Bewilligung des Pfarrers in seinem Kirchspiel wohnen, und einige Ordensverrichtungen, doch unentgeldlich besorgen darf.
Empfohlene Zitierweise:
Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_128.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)