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Voltaire: Kandide. Erster Theil

Kandide erkundigte sich nach dem höchsten Tribunale, dem Parlamente. Das gab’ es hier gar nicht, antwortete man ihm. Hier wüsste man nichts von Prozessen. „Und Gefängnisse?“ – „Sind hier auch nicht Brauch.“

Nichts aber war Kandiden überraschender, nichts ihm ergezender, als die Akademie der Wissenschaften. Er fand darin eine Gallerie von zweitausend Schritte lang, mit lauter physikalischen Instrumenten angefüllt.

Den ganzen Nachmittag waren sie herumgelaufen und hatten beinahe den tausendsten Theil der Stadt in Augenschein genommen; jezt führte man sie wieder auf’s Schlos zurük. Kandide und sein Bedienter, Kakambo, mussten sich zwischen Ihro Majestät und vielen Damen niederlassen.

Das war ein Gastmal, wie man noch nie gesehn hatte. Nicht blos Weide für den Gaumen, sondern auch für den Geist! So reiche Adern Wizes und guter Laune hatten sich wohl noch nie bei einem Supee ergossen, als hier bei Ihro Majestät. Kakambo verdolmetschte Kandiden jeden launichten Einfall des Königs, und – was diesen nicht wenig Wunder nahm – er blieb, troz der Übersezung, noch immer launichter Einfall.

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_104.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)