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Voltaire: Kandide. Erster Theil

Gebete beschaffen wären. Von Gebeten wissen wir nichts, antwortete der gute und ehrwürdige Weise. Wozu sollen wir Gebete zu Gott senden? Er gibt uns ja alles, was zu unsers Leibes Nahrung und Notdurft gehört. Dankopfer bringen wir ihm aber unaufhörlich.

Kandide war neugierig ihre Priester kennen zu lernen, und erkundigte sich, wo sie wären. Priester, antwortete der gute Greis lächelnd, ist jedermann bei uns. Der König, und jeder Hausvater singt Gott jeden Morgen sein Loblied in Begleitung von sechstausend Geigern und Pfeifern. „So habt Ihr also keine Mönche, die Lehr’ und Trost ertheilen, Gekrett’ und Hezereien anfangen, das Regimentsruder ergreifen, und Leute verbrennen lassen, die nicht ihrer Meinung sind.“ Thoren wären wir dann, sagte der Greis. Wir sind insgesamt Einer Meinung zugethan, und verstehn gar nicht, was Ihr mit Euren Mönchen sagen wollt.

Kandiden sezten diese Reden in die äusserste, freudigste Verwunderung, und er sagte bei sich: Ha! ein ganz ander Ding als unser Westphalen, und unser Donnerstrunkshausen! Hätte Freund Panglos Eldorado gesehn, er würde gewis nicht behauptet haben, es gäbe nichts vortreflichers auf Gottes Erdboden, als

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_101.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)