Seite:Kandide (Voltaire) 065.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Voltaire: Kandide. Erster Theil

immer mit sich herumschleppt, die es gern alle Augenblikke von sich werfen möchte? Das sein Dasein verabscheut, und doch platterdings nicht daran will, ihm ein Ende zu machen? Kurz, das eine Schlange hätschelt, die immer in ihm fortnagt, bis sie ihm das Herz abgefressen hat.

In all’ den Ländern, wohin mich das Schiksal getrieben, und in allen Wirtshäusern, wo ich Aufwärterin gewesen, hab’ ich Personen die Menge gefunden, die ihr Dasein verfluchten, aber nur ein Duzend gesehn, die ihrem Elende ein freiwilliges Ende machten. Das waren drei Mohren, vier Engländer, vier Genfer, und ein Leipziger Professor, Namens Zerbin.

Mein lezter Dienst war bei dem Juden Don Isaschar. Ich lernte ihn vor zwei Jahren in Rotterdam kennen, wo er in dem Gasthofe logierte, worin ich diente. Ein niedlicher Bettwärmer, den er mit sich gebracht, hatte sich in alle seine Kostbarkeiten und in seine vollgepfropfte Börse so stark verliebt, wie er sich in dies Kreatürchen, und den Anschlag gemacht, durch meine Beihülfe damit über alle Berge zu gehn. Diese Zumutung verdros mich; ich stekte dem Juden das Projekt seines Mädchens; er verhinderte sie an dessen Ausführung, indem er sie sezen lies, und mich nahm er zur Belohnung meiner Redlichkeit

Empfohlene Zitierweise:
Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_065.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2021)