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Voltaire: Kandide. Erster Theil

Nachdem Sie waren tüchtig gestäupt worden, sagt’ ich bei mir selbst: Wie mus der liebenswürdige Kandide und der weise Panglos nach Lissabon gekommen sein, jener um hundert Rutenstreiche zu empfangen, dieser um aufgehängt zu werden auf Befehl des Hochwürdigsten Inquisitors, dessen Liebling ich bin? Wie grausam hat mich Panglos hintergangen, daß er mir vordemonstrirte, diese Welt sei die beste!

Ich taumelte halb ohnmächtig nach Hause. In dem Aufruhr, worin meine Sinne waren, stiegen mir alle meine bisher erlebten Begebenheiten zu Kopfe; schob mir meine Phantasie mit hellen Farben gemalt die Würgescene vors Auge, die sich auf dem Schlos zugetragen.

Ich sahe deutlich, wie man meinen Vater schlachtete, und meine Mutter, und meinen Bruder, sahe, wie der garstge Bulgarische Soldat so frech über mich herfiel und mich mit dem Säbel verwundete, wie ich Magd ward, aschenbrödeln musste; sahe meinen Bulgarischen Hauptmann, meinen häslichen Don Isaschar, meinen abscheulichen Inquisitor, und den guten Panglos, wie er aufgehängt wurde. Noch immer gellte mir die widrige Musik in mein Ohr, während welcher Sie den Staupbesen bekamen, noch immer brannte der Kus auf meinen Lippen, den Sie am Tage unsrer Trennung mir hinter

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_042.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)