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Voltaire: Kandide. Erster Theil

entronnen waren; unterwegs vergossen sie manche Thräne über den Tod ihres Wohlthäters.

Kaum hatten sie den Fus in die Stadt gesezt, so fühlten sie die Erde unter sich dröhnen, das Meer brauste im Hafen empor, und zerschellte die vor Anker liegenden Schiffe. Feuer- und Aschenwirbel bedekten die Gassen und öffentlichen Pläze; die Grundfesten der Häuser wichen aus den Fugen, Gibel, Dächer stürzten herab, die Häuser zerschossen in Schutt und Trümmer, und dreissigtausend Einwohner von jedem Geschlecht und Alter erlagen darunter.

Schwerenot! hier wird’s was zu brudern geben! rief der Matros und pfif sich ein lustiges Stükchen. Was mag wohl der zureichende Grund dieses Phänomens sein? sagte Panglos. Es ist der jüngste Tag! rief Kandide.

Der Matros rannte sporenstreichs unter die herabstürzenden Balken und Mauern und trozte dem Tode, um Geld zu finden. Er fand welches, stopfte alle Taschen damit voll, besoff sich, und wie er den Rausch ausgeschlafen, dung er sich die erste beste Jungfer Gutwillig, die er antraf, und mitten auf dem Schutt eingestürzter Häuser und unter dem Haufen Sterbender und Todten berauschte er sich an dem fröhlichsten Liebesgenus.

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_026.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)