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Voltaire: Kandide. Erster Theil

Entschlus, in andern Gegenden über Wirkungen und Ursachen zu philosophiren; stieg über die Haufen der Todten und Sterbenden weg, und arbeitete sich in einen nahbelegnen Aschenhaufen von Dorfe hinein. Es hatte vor Kurzem den Abaren gehört, und die Bulgaren hatten es, dem Völkerrechte gemäs, abgebrannt.

Greise lagen hier, die Wund’ an Wunde hatten, und neben sich ihre zermezelten Weiber mußten hinsterben sehn, an deren blutenden Brüsten ihre Säuglinge zappelten; dort gaben Jungfrauen ihren Geist auf, von denen jede einem Halbduzend Helden ihre Naturbedürfnisse hatte stillen müssen, und nachher war entbaucht worden; hier schrieen andre, deren Leichnam halbverbrannt war: man möcht’ ihnen nur den Rest geben. Die ganze Erde war mit Gehirnen und Armen und Beinen besäet.

Kandide floh in voller Hast in ein andres Dorf. Es gehörte den Bulgaren, und die Helden unter den Abaren hatten ihnen kein Haar besser mitgespielt. Noch immer mußte der arme Flüchtling über zukkende Glieder gehen, und über Schutt und Graus. Endlich sah’ er sich ausserhalb des Kriegstheaters. Er hatte in seinem Schnappsak etwas weniges Mundproviant, und in seinem Herzen die ihm unvergesliche Barones Gundchen.

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_014.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)