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     Fing der Vogel an zu sprechen,
Also redete der Habicht:
„O du Schmieder Ilmarinen,
Du, der ew’ge Schmiedekünstler,
Bist fürwahr ein rechter Meister,
Bist ein echter Schmiedekünstler!“
     Sprach der Schmieder Ilmarinen,

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Redet selber diese Worte:

„Ist fürwahr kein großes Wunder,
Wenn ich bin ein guter Schmieder,
Da den Himmel ich geschmiedet,
Ich der Lüfte Dach gehämmert.“
     Fing der Vogel an zu sprechen,
Also redete der Habicht:
„Was denn schmiedest du, o Schmieder,
Und bereitest du, o Hämmrer?“
     Gab der Schmieder Ilmarinen

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Diese Worte ihm zur Antwort:

„Schmiede einen starken Halsring
Für die Alte von Pohjola,
Daß sie angeheftet werde
An dem Saum des festen Berges.“
     Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Nordlands Alte arm an Zähnen,
Merkte nun das Unheil nahen,
Sah das Unglück sie bedrohen,
Fliehet eilends durch die Lüfte

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Und entkommet nach Pohjola.

     Ließ den Mond nun aus dem Steine,
Ließ die Sonne aus dem Felsen,
Selbst verwandelt sie das Aussehn,
Schafft sich um in eine Taube;
Flatternd kommt sie angeflogen
Zu der Esse Ilmarinen’s,
Fliegt als Vogel zu der Thüre,
Fliegt als Taube zu der Schwelle.
     Spricht der Schmieder Ilmarinen

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Selber Worte dieser Weise:

„Weßhalb kommst du hergeflogen,
Kommst du, Taube, zu der Schwelle?“
     Antwort gab ihm von der Thüre,
Von der Schwelle ihm die Taube:
„Deshalb bin ich an der Schwelle,
Um die Kunde dir zu bringen,
Schon entstieg der Mond dem Steine,
Kam die Sonne aus dem Felsen.“
     Selbst der Schmieder Ilmarinen

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Ging hinaus um zuzuschauen,

Schreitet zu der Thür der Esse,
Schaute scharf empor zum Himmel,
Sieht daselbst das Mondlicht glänzen,
Sieht der Sonne Licht erstrahlen.
     Ging in Wainämöinen’s Nähe,
Redet Worte solcher Weise:
„O du alter Wäinämöinen,
Du der ew’ge Zaubersprecher!
Komm’ den Mond nun anzuschauen,

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Komm’ die Sonne zu betrachten,

Sind in Wahrheit schon am Himmel;
An den sonstgewohnten Plätzen.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schreitet auf den Hof nun selber,
Hebt sein Haupt rasch in hie Höhe,
Blicket hastig auf zum Himmel,
Oben stand der Mond wie früher,
Frei geworden war die Sonne.
     Fing der alte Wäinämöinen

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Selber darauf an zu sprechen,

Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Glück auf, Mond, zu frischem Glanze,
Glück auf dir zu schönem Scheine,
Golden glänzt der Tag nun wieder,
Hebt die Sonne sich nach oben!“
     „Frei bist, Goldmond, du des Felsens,
Frei, o Sonne, du geworden,
Gleich dem goldnen Kuckucksvogel,

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Gleich der sanften Silbertaube

Stiegt ihr zu den frühern Sitzen,
Fandet ihr die frühern Bahnen.“
     „Steig, o Sonne, jeden Morgen,
Von dem heut’gen Tag gerechnet;
Bring uns täglich Glückesgrüße,
Daß sich unsre Habe häufe,
Beute unsern Fingern nahe,
Glück der Spitze unsrer Angeln!“
     „Gehe deinen Weg mit Wohlsein,

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Deine Bahn voll lauter Wonne,

Ende deinen Lauf voll Schönheit,
Ruhe Abends aus voll Freude!“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_288.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)