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„Alter mit dem goldnen Busen,
Du, der Wirth vom Hof Tapio’s,
Süßes Weib du von Metsola,
Liebe Wirthin von dem Walde,
Kräft’ger Mann, du Sohn Tapio’s,
Kräft’ger Mann mit rother Mütze,
Tellerwo, Tapio’s Jungfrau,

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Und zugleich das Volk Tapio’s,

Kommet zu dem Gastgelage,
Zu des Langhaars Hochzeitsschmause!
Vorrath giebt es hier zu essen,
Hier zu essen und zu trinken,
Bleibt genug hier zu behalten,
Bleibt genug dem Dorf zu schenken.“
     Spricht das Volk darauf die Worte,
Reden so die schönen Leute:
„Wie ist wohl der Bär geboren,

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Wie mit theurem Fell gewachsen,

Ist auf Stroh der Bär geboren,
In der Badstub’ aufgewachsen?“
     Sprach der alte Wäinämöinen
Selber darauf diese Worte:
„Ist nicht auf dem Stroh geboren,
Nicht auf Spreu in einer Scheune,
Dorten ist der Bär geboren,
Kam die Honigtatz’ zum Vorschein:
Bei dem Monde, bei der Sonne,

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Auf des grossen Bären Schultern,

In der Lüftetöchter Nähe,
An der Schöpfungstöchter Seite.“
     „Ging am Rand der Luft ein Mädchen,
An des Himmel Mitt’ die Jungfrau,
Auf der Bahn von einer Wolke,
An dem Saume von dem Himmel
In den blaugefärbten Strümpfen,
In den buntgeschmückten Schuhen,
In der Hand ein Wollenkasten,

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In dem Arm ein Korb mit Haaren;

Wirft die Wolle auf das Wasser,
Wirft die Haare auf die Fluthen,
Diese wiegen dort die Winde,
Setzt die Luft dort in Bewegung,
Schwinget dort der Zug des Wassers,
Treiben zu dem Strand die Wellen,
Zu dem Strand des Honigwaldes,
Zu der süßen Landzung’ Ende.“
     „Mielikki, des Waldes Wirthin,

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Sie, die Kluge Tapiola’s,

Nimmt die Flocken aus dem Wasser,
Aus der Fluth die weiche Wolle.“
     „Fügt die Wolle schnell zusammen,
Wickelt sie gar schön zusammen,
In den Korb von Ahornrinde,
In die wunderschöne Hülle,
Hebt die schönen Windelschnüre,
Leget schöne goldne Ketten
Auf die reichverzweigten Äste,

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Auf die breiten Blätterkronen.“

     „Wiegte da das liebe Wesen,
Schaukelte das zarte Kindlein
An der blüthenreichen Fichte,
An der nadelreichen Tanne;
Ließ gedeihen so den Bären,
So den Schönhaar sie dort wachsen
An dem Saum des Honigbusches,
In des Honigwaldes Innerm.“
     „Wuchs der Bär nun auf das Schönste,

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Schoß voll Anmuth in die Höhe;

Kurz von Füßen, krummen Kniees,
Mit dem gleichgeformten Maule,
Breitem Kopfe, stumpfer Nase,
Mit den schöngestreckten Haaren;
Hatte aber noch nicht Zähne,
Noch nicht angefügt die Krallen.“
     „Mielikki, des Waldes Wirthin,
Redet selber diese Worte:
„Möchte Krallen ihm jetzt geben,

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Möcht’ ihm Zähne gern verleihen,

Wenn er nicht zum Schaden diese,
Nicht zu bösen Werken brauchte.“
     „Schwur der Bär dort kräft’ge Eide,
Auf den Knie’n der Waldes Wirthin,
Vor dem offenbaren Gotte,
Vor dem Schöpfer voller Allmacht,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_270.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)