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Sechsundvierzigste Rune.


     Nach Pohjola kommt die Kunde,
Nach dem kalten Dorf die Botschaft,
Daß Wäinölä sich erholet,
Kalewala sich befreiet
Von den Übeln, die erhoben,
Von dem Siechthum sonder Gleichen.
     Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Nordlands Alte, arm an Zähnen,
Wurde darob überböse,

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Redet’ Worte solcher Weise:

„Kenne wohl noch andre Mittel,
Finde noch ganz andre Wege,
Treib’ den Bären von der Heide,
Aus dem Wald den Tatzenträger
Auf den Reichthum von Wäinölä,
Auf die Heerden Kalewala’s.“
     Trieb den Bären von der Heide,
Von dem starren Land den Krummbein
Auf die Fluren von Wäinölä,

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Auf die Heerden Kalewala’s.

     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
„Bruder, du Schmied Ilmarinen,
Schmied’ mir eine neue Lanze,
Einen Speer mit dreien Spitzen,
Mit dem kupferreichen Schafte!
Gern möcht’ ich den Bären fangen,
Ihn, das Thier mit theurem Felle,
Daß er meine Hengste nimmer,

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Niemals meine Stuten fresse,

Daß er nicht den Heerden schade,
Nicht die Kühe niederstrecke.“
     Schmiedet einen Speer der Schmieder,
Keinen langen, keinen kurzen,
Schmiedet einen mittler Gattung:
Saß ein Wolf auf seiner Kante,
Saß ein Bär dicht an der Schneide,
Auf dem Speerschuh lief ein Elenn,
Auf dem Schafte rannt’ ein Füllen,

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An dem Knopfe stieß ein Rennthier.

     Hatte frisch darauf geschneiet,
War gar zarter Schnee gefallen,
Gleich dem Herbstschaf weiß an Farbe,
Gleich dem Hasen in dem Winter;
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
„Meine Lust hat mich geführet,
Mich nach Metsola geleitet,
In der Waldesjungfraun Nähe,

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Zu dem Hof der blauen Mädchen.“

     „Von den Männern geh’ zum Walde,
Von den Helden ich zur Arbeit;
Nimm mich, Wald, zu deinem Manne,
Tapio mich zu deinem Helden,
Hilf das Glück du mir gewinnen,
Mir des Waldes Zierde fällen!“
     „Mielikki, des Waldes Wirthin,
Tellerwo, du Weib Tapio’s!
Binde fest du deine Hunde,

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Setz’ in Ordnung deine Welpen

In dem fichtenreichen Gange,
An der eichenreichen Hütte!“
     „Otso, du des Waldes Apfel,
Runder mit den Honigtatzen!
Hörest du, daß ich erscheine,
Daß zu dir der Brave schreitet,
Birg die Krallen in den Haaren,
Deine Zähne in dem Zahnfleisch,
Daß sie mich durchaus nicht treffen,

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Ganz und gar sich nicht bewegen!“

     „Otso, du mein Vielgeliebter,
Schönster mit den Honigtatzen!
Leg’ dich schlafen auf den Rasen,
Auf die wunderschönen Felsen,
Daß die Tannen oben schwanken,
Über dir die Fichten rauschen,
Wälze also dich, o Otso,
Wende du dich, Honigtatze,
Wie das Haselhuhn im Neste,

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Wie die Gänse, wenn sie brüten!“
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_266.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)