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Diese Qualen wahrzunehmen,

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Dieses Unheil abzuwehren,

Diese Übel zu verscheuchen,
Dieses Siechthum zu vertreiben!“
     „Bringe mir ein Schwert voll Feuer,
Bring’ mir eine Feuerklinge,
Daß die Bösen ich bezwingen,
Ich die Garst’gen bannen könne,
Auf des Windes Bahn die Schmerzen,
Auf das weite Feld die Qualen.
     „Dahin treibe ich die Schmerzen,

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Dahin banne ich die Qualen,

Zu den Kellern in den Felsen,
Zu den eisenreichen Haufen,
Um den Steinen Schmerz zu bringen,
Um die Felsen zu beläst’gen;
Nimmer weint der Stein vor Schmerzen,
Klagt der Felsen über Qualen,
Sollt’ man auch gar viel ihn quälen,
Ohne Maaß denselben stoßen.“
     „Schmerzensjungfrau, Tuoni’s Tochter,

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Die im Schmerzensberge sitzet,

An dem Laufe dreier Flüsse,
Bei der Theilung dreier Ströme,
Die die Schmerzenssteine drehet,
Die den Berg der Schmerzen wendet!
Geh die Schmerzen abzuwenden
In des blauen Steines Rachen,
Oder führ’ sie in das Wasser,
Senk’ sie in des Meeres Tiefe,
Welche nie vom Wind berühret,

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Nie vom Sonnenlicht beschienen!“

     „Sollte dieß genug nicht scheinen,
Schmerzensjungfrau, gute Wirthin,
Qualenjungfrau, Weiberzierde,
Komm zugleich, erscheine gleichfalls,
Um Gesundheit zu verschaffen,
Um uns Ruhe zu bereiten!
Nimm den Schmerzen ihre Wirkung,
Laß die Qualen bald verschwinden,
Daß der Kranke schlafen könne,

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Kummerfrei der Schwache ruhe,

Daß Besinnung er behalte,
Sich der Sieche wenden könne.“
     „Nimm die Schmerzen in das Fäßchen,
In die Kupfertruh’ die Qualen,
Daß die Schmerzen du entführest,
Du die Qualen schleppen mögest
In des Schmerzenberges Mitte,
Zu des Schmerzenfelsens Spitze;
Dort sollst du die Schmerzen kochen

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In dem allerkleinsten Kessel,

Von der Größe eines Fingers,
Von der Weite eines Daumens!“
     Mitten ist ein Stein im Berge,
Ist ein Loch in seiner Mitte,
Ist gebohret mit dem Bohrer,
Durchgeschlagen mit dem Eisen,
Dahin wirf du alle Schmerzen,
Dahin schütt’ die bösen Qualen,
Dränge du die wilden Wesen,

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Drücke du die Unheilstage,

Daß sie Nachts sich nicht erheben,
Nicht bei Tag’ in Freiheit kommen.“
     Schmiert der alte Wäinämöinen,
Dieser ew’ge Zaubersprecher,
Darauf alle kranken Stellen,
Überstreicht des Schmerzes Sitze
Dann mit neun der besten Salben
Und mit acht der Zaubermittel,
Redet Worte solcher Weise,

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Läßt auf diese Art sich hören:

„Ukko, du, o Gott dort oben,
Alter Mann du in dem Himmel!
Send’ aus Osten eine Wolke,
Eine Hängewolk’ aus Nordwest,
Schicke eine aus dem Westen,
Sende Honig, sende Wasser,
Um die Schmerzen zu beschwicht’gen,
Um die Qualen zu besänft’gen!“
     „Werde selber nichts vermögen,

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Wenn’s mein Schöpfer nicht erlaubet;

Hülfe mußt du, Schöpfer, geben,
Hülfe Gott du, Höchster, bringen,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_264.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)