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Wirst sogleich vor Freude weinen,
Wirst voll lauter Lust ertönen.“
     Schuf der alte Wäinämöinen
Aus der Birke nun ein Spielzeug,
Schnitzte einen Tag des Sommers,

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Bildete sich eine Harfe

Auf der nebelreichen Spitze,
Auf dem waldungsreichen Eiland;
Schnitzt die Wölbung von der Harfe,
Neue Freude auf dem Stammholz,
Schnitzt aus festem Holz die Wölbung,
Schnitzt aus Maserholz das Stammholz.
     Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet’ selber diese Worte:
„Fertig ist der Harfe Wölbung,

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Für die Freude auch das Stammholz;

Woher nehm’ ich jetzt die Schrauben,
Woher hol’ ich gute Pflöcke?“
     Wuchs ein Eichbaum an dem Wege,
In die Höhe auf dem Hofe,
Hatte Zweige gleicher Größe,
Eicheln dort auf jedem Zweige,
Goldne Kugeln an den Eicheln,
Auf der Kugel einen Kuckuck.
     Wenn der Kuckucksruf ertönte,

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Fünf der Töne dort erschallten,

Floß ihm Gold aus seinem Schnabel,
Goß herab sich reiches Silber
Auf die goldbedeckten Hügel,
Auf die silberreichen Höhen;
Daher nahm er Harfennägel,
Daher Pflöcke zu dem Spielzeug.
     Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet’ selber diese Worte:
„Habe Nägel nun zur Harfe,

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Pflöcke für mein neues Spielzeug;

Etwas fehlet noch der Harfe,
Fehlen ihr noch fünf der Saiten,
Woher nehme ich die Saiten,
Schaffe ich die tönereichen?“
     Ging sich Saiten nun zu suchen,
Schritt einher entlang der Waldung;
Saß ein Mädchen in dem Haine,
Eine Jungfrau in dem Thale,
Dieses Mädchen weinte zwar nicht,

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War auch nicht recht voll von Freude:

Sang ein Liedchen vor sich selber,
Daß der Abend schwinden möchte,
In der Hoffnung, daß der Liebste,
Daß er ja recht bald erschiene.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Eilte dorthin ohne Schuhe,
Springet zu ihr ohne Strümpfe;
Als er bei ihr angelanget,
Fing er an um Haar zu bitten,

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Redet’ selber solche Worte:

„Gieb, o Jungfrau, deine Haare,
Locken deiner zarten Haare,
Daß sie Saiten auf der Harfe
Zu beständ’ger Freude werden!“
     Ihre Haare gab die Jungfrau,
Gab von ihren weichen Haaren,
Gab derselben fünf, ja sechse,
Gab ihm sieben ganze Haare,
Daraus sind der Harfe Saiten,

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Sind die ew’gen Freudenwecker.

     Fertig war nun seine Harfe;
Setzt der alte Wäinämöinen
Sich auf einen Sitz von Steinen,
Auf den Block an einer Thüre.
     Nahm die Harfe in die Hände,
Nahm sein Labsal näher zu sich,
Dreht die Wölbung zu dem Himmel,
Stützt den Knopf auf seine Kniee.
Setzt die Saiten dann in Ordnung,

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Stimmt dieselben zu einander.

     Hatte nun gestimmt die Saiten,
Seine Harfe gut geordnet;
Nimmt sie darauf in die Hände,
Stützt sie auf die Knie querüber,
Ließ das Zehend seiner Nägel,
Fünf von seinen Fingern laufen,
Auf den Saiten munter lärmen,
In denselben lustig springen.

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_259.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)