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     Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Wurde nun gewaltig böse,
Merkte, daß die Macht ihr schwindet,
Daß ihr Ansehn niedersinket,
Bittet so die Nebeljungfrau:
„Nebeltochter, Nebeljungfrau!
Streue mit dem Siebe Nebel,

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Sende dichte Dünste nieder,

Schicke dicke Luft vom Himmel,
Aus der Luft recht dicke Dämpfe
Auf des klaren Meeres Rücken,
Auf die weitgedehnten Öden,
Daß davon nicht Wäinämöinen,
Nicht der Freund der Wogen komme!“
     „Sollte dieß genug nicht scheinen,
Iku-Turso, Sohn des Alten,
Heb’ dein Haupt du aus dem Meere,

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Deinen Scheitel aus den Fluthen,

Stürz’ die Männer von Kalewa
Und versenk’ die Wogenfreunde,
Lasse du die bösen Helden
In der Wogen Tiefe sinken,
Bring den Sampo nach Pohjola,
Ohn’ ihn aus dem Boot zu wälzen!“
     „Sollte das genug nicht scheinen,
Ukko, du, o Gott dort oben,
Goldner König in den Lüften,

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Silberreicher Machtinhaber!

Mache Wetter voller Stürme
Und erheb die Kraft der Lüfte,
Sende Wind’ und sende Fluthen
Jenem Boote du entgegen,
Daß davon nicht Wäinämöinen,
Nicht der Freund der Wogen komme.“
     Hauchte nun die Nebeljungfrau
Einen Nebel auf die Fluthen,
Sandte Dünste in die Lüfte,

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Hielt den alten Wäinämöinen

Drei der Nächte nach einander
In des blauen Meeres Innerm,
Daß er nirgendhin entkommen,
Nirgendhin entrinnen konnte.
     Als er drei der Nächt’ im Meere,
In den Fluthen so geruhet,
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
„Selbst ein schlechterer der Männer,

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Selbst ein schwächerer der Helden

Wird im Nebel nicht versinken,
Nicht in Dünsten untergehen.“
     Fuhr durchs Wasser mit der Klinge,
Schlug das Meer mit seinem Schwerte,
Honig fließet von der Klinge,
Süßer Seim von seinem Schwerte,
Stieg der Dunst empor zum Himmel,
Hob der Nebel sich nach oben,
Rein vom Dampfe ward das Wasser,

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Von dem Dunste bald die Fluthen,

Weiter dehnt sich aus das Wasser,
Größer muß die Welt nun scheinen.
     Wenig Zeit war hingegangen,
Kaum ein Augenblick verflossen,
Ist ein gar gewaltig Brausen
An des Bootes Rand zu hören,
Dort hebt Schaum sich in die Höhe
Zu dem Boote Wäinämöinen’s.
     Ward der Schmieder Ilmarinen

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Damals sehr in Furcht gesetzet,

Floß das Blut ihm aus den Wangen,
Sank herab von seinen Backen;
Zog sich über’s Haupt die Decke,
Über seine beiden Ohren,
Decket damit seine Wangen,
Besser noch deckt er die Augen.
     Selbst der alte Wäinämöinen
Schaute auf das Meer am Boote,
Warf die Augen hin zur Seite,

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Siehet dort ein kleines Wunder:

Iku-Turso, Sohn des Alten,
Hebt zur Seit’ des rothen Bootes
Seinen Kopf jetzt aus dem Meere,
Seinen Scheitel aus den Fluthen.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Packt die Ohren mit den Fäusten,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_248.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)