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Zu des hehren Helden Harfe,
Zu dem Spiele Wäinämöinen’s.
     Von der Höhe flog der Adler,
Durch die Wolken kam der Habicht,
Enten aus der Fluthen Tiefe,
Schwäne aus den schwanken Sümpfen,
Selbst die allerkleinsten Finken,
Vöglein, die gar munter zwitschern,
Zeisige in hundert Schaaren,

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Wohl ein Tausend lust’ger Lerchen

Freuen sich im Raum der Lüfte,
Lärmen auf des Mannes Schultern,
Als der liebe Vater spielte,
Bei den Tönen Wäinämöinen’s.
     Selbst der Lüfte Schöpfungstöchter,
Voller Lust der Lüfte Jungfraun,
Hatten voller Staunen Freude,
Lauschten auf den Klang der Harfe,
Eine auf der Lüfte Wölbung,

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Sitzend auf dem Himmelsbogen,

Auf dem Wölklein saß die andre,
Strahlte auf dem rothen Saume.
     Hielt des Mondes schöne Jungfrau
Und der Sonne schöne Tochter
In der Hand die Weberkämme,
Heben auf die Weberschafte,
Weben an dem Goldgewebe,
Rauschen mit den Silberfäden
An dem Rand der rothen Wolke,

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An des langen Bogens Kante.

     Als sie aber nun vernahmen
Dieser schönen Harfe Klänge,
Fiel der Kamm rasch aus den Händen,
Rauscht das Schifflein aus den Fingern,
Ging entzwei der goldne Faden,
Riß die Schnur von schönem Silber.
     Damals gab es keine Wesen,
Keine Thiere in dem Wasser,
Die mit sechs der Flossen wandern,

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Keine Schaaren von den Fischen,

Die zum Hören nicht gekommen,
Sich nicht freuten voller Staunen.
     Angeschwommen kamen Hechte,
Ungelenk die Wasserhunde,
Von den Klippen kamen Lachse,
Schnäpel aus des Meeres Tiefe;
Mit dem Rothaug’ kamen Barsche,
Stinten kamen, andre Fische
Mit der Brust gestützt aufs Schilfrohr,

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Kamen an den Strand gestiegen,

Wäinämöinen’s Lied zu hören,
Seinem Spiele beizuwohnen.
     Ahto, König in den Fluthen,
Mit dem Grasbart dieser Alte,
Schleppt sich zu der Wasserfläche,
Schwimmt auf einer Wasserblume,
Lauschte auf die schönen Töne,
Redet’ selber diese Worte:
„Hab’ dergleichen nie gehöret,

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Nie so lang’ die Zeiten währen,

Dieses Spiel von Wäinämöinen,
Töne dieses Zaubersängers.“
     Glätten an dem Meeresufer,
An dem Strand die Schilfesschwestern,
Ihre Haar’ die Sotkotöchter,
Kämmen diese Zier der Stirne
Mit der silberreichen Bürste,
Mit den goldgeschmückten Borsten;
Hören da die neuen Töne,

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Dieses wunderschöne Spielen,

In das Wasser glitt die Bürste,
Stürzte hastig in die Wogen,
Ungekämmt die Haare blieben
Und zur Hälfte nur geordnet.
     Selbst die Wirthin von den Fluthen,
Sie die schilfbedeckte Alte
Hob sich aus des Meeres Tiefe,
Taucht’ bedächtig aus den Fluthen,
Schlich heran zum Schilfesrande,

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Wendet’ sich auf eine Klippe,

Um die Töne anzuhören,
Wäinämöinen’s schönes Spielen,
Da die Töne wunderseltsam,
Wunderschön das Spiel erschallte;

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_241.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)