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Hast der Burg zuvor geschadet,
Hast die Burg schon sonst gekränket,
Als das erste Mal du kamest,
An der Thüre hier erschienest.“
     „Mädchen, du, o liebe Schwester,
Freu’ dich nicht ob dieses Freiers,
Nicht ob seines Munds Gestaltung,
Nicht ob seiner edlen Füße!
Hat das Zahnfleisch eines Wolfes,

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Hat verborgen Fuchses Klauen,

Bärenkrallen an den Armen,
Blutbegierig ist das Messer,
Womit er die Köpfe ritzet,
Rücken aufzuschlitzen pfleget.“
     Selber sprach das Mädchen also
Zu dem Schmiede Ilmarinen:
„Werde dir gewiß nicht folgen,
Nicht beacht’ ich solche Wichte;
Hast dein frühres Weib erschlagen,

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Meine Schwester du getödtet,

Möchtest ferner mich noch tödten,
Selber mich um’s Leben bringen;
Wohl verdienet dieses Mädchen
Einen Mann von besserm Werthe,
Einen Leib von schönerm Wuchse,
Daß sie fahr’ in hübscherm Schlitten
Hin zu einem bessern Sitze,
Hin zu einer größern Wohnung,
Nicht zur Kohlenstätt’ des Schmiedes,

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Zu des dummen Mannes Feuer.“

     Schief zog nun Schmied Ilmarinen,
Dieser ew’ge Schmiedekünstler,
Seinen Mund sammt seinem Kopfe,
Wirft gar schief die schwarzen Haare,
Schreitet rasch, erreicht das Mädchen,
Fasset sie mit seinen Fäusten,
Gehet stürmend aus der Stube,
Stürzet eilends zu dem Schlitten,
Setzt die Jungfrau in den Schlitten,

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Schleudert sie dahin zum Sitze,

Macht sich auf davon zu fahren,
Schickt sich an davon zu reisen,
Eine Hand hat er am Leitseil,
An der Mädchens Brust die andre.
     Weinen mußt’ das arme Mädchen,
Redet Worte solcher Weise:
„Kam nun zu des Sumpfes Beeren,
Zu des Wasserrandes Kräutern,
Werde, Hühnchen, dort verkommen,

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Werde, Vöglein, rasch dort sterben.“

     „Höre, Schmieder Ilmarinen!
Wirst du mich nicht gehen lassen,
So zerschlag’ ich deinen Schlitten
Und zerstrümmre ihn in Stücke,
Schlag ihn durch mit meinen Knieen,
Und durchstoß’ ihn mit den Beinen.“
     Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:
„Sind an dieses Schmiedes Schlitten

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Alle Seiten ja von Eisen,

Daß das Stoßen er vertrage
Und der schönen Jungfrau Toben.“
     Jammern mußt’ das arme Mädchen,
Klagen die mit Erz Geschmückte,
Ringt die Finger sich zu Schanden
Und zerarbeitet die Hände,
Redet Worte solcher Weise:
„Wirst du mich nicht gehen lassen,
Werd’ ich mich zum Fisch verwandeln,

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Als ein Schnäpel in der Tiefe.“

     Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:
„Wirst auch so mir nicht entkommen,
Werd’ als Hecht dir dorten folgen.“
     Jammern mußt’ das arme Mädchen,
Klagen die mit Erz Geschmückte,
Ringt die Finger sich zu Schanden
Und zerarbeitet die Hände,
Redet Worte solcher Weise:

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„Wirst du mich nicht gehen lassen,

Werd’ ich zu dem Walde ziehen
Als ein Hermelin in Felsen.“
     Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_226.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)