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Vierunddreißigste Rune.


     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Er, der Knab’ mit blauen Strümpfen,
Mit den schönen, goldnen Locken,
Mit gar hübschen Lederschuhen,
Macht sich selber auf zu wandern
Von dem Schmieder Ilmarinen,
Eh’ die Nachricht von dem Tode
Seines Weibes er erhielte,
Er in schlechte Laune käme

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Er zur Schlägerei sich wendet’.

     Spielend eilt er von dem Schmiede,
Freudig von den Ländern Ilma’s,
Blies gar munter auf der Heide,
Lärmte auf den weiten Fluren,
Sümpfe dröhnten, Länder bebten,
Antwort gab der Heideboden
Auf das Spielen Kullerwoinen’s,
Auf sein gräßliches Gejubel.
     Hörbar ward es in der Schmiede;

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Stehen blieb daselbst der Schmieder,

Ging zum Gang um zuzuhören,
Zu dem Hof um zuzuschauen,
Was da spielet in dem Walde,
Was da bläset auf der Heide.
     Sieht daselbst die ganze Wahrheit,
Ohne Trug was dort geschehen,
Sieht sein Weib am Boden liegen,
Sieht die Schöne hingesunken,
Hingesunken auf dem Hofe,

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Umgestürzet auf dem Rasen.

     Da gerieth der alte Schmieder
In gar trübe Herzensstimmung,
Saß die ganze Nachtlang weinend,
Ließ die Thränen lange fließen,
Schwarz wie Theer war seine Laune,
Seine Stimmung schwarz wie Kohlen.
     Kullerwoinen schreitet vorwärts,
Irret hier und dorthin weiter,
Einen Tag durch dichte Wälder

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Durch des Hiisi Balkenstrecken;

An dem Abend, als es dunkelt,
Legt er sich am Boden nieder.
     Dorten saß der Vaterlose,
Dachte also der Verlass’ne:
„Wer mag mich geschaffen haben,
Mich, den Elenden, gebildet,
Daß ich Tage, Monde irre,
Immer in dem Raum der Lüfte!“
     „Andre gehen nach der Heimath,

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Andre wandern nach dem Wohnsitz,

Meine Heimath ist die Waldung,
Auf der Heide ist mein Wohnsitz,
In dem Wind die Feuerstelle,
In dem Regen meine Badstub’.
     „Nimmer magst du Gott, o Guter,
Niemals in dem Lauf der Zeiten
Unrecht du ein Kind erschaffen,
Nie ein Kind, das so verwaiset,
Vaterlos ist in den Lüften,

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Ohne Mutter hieselbst weilet,

Wie du mich, o Gott, geschaffen,
Mich, den Armen, hast gebildet,
Gleich der Möve auf dem Meere,
Gleich der Ente auf der Klippe!
Wohl der Schwalbe scheint die Sonne,
Leuchtet hell dem Sperling selber,
Freudevoll der Lüfte Vögeln,
Mir nur scheint sie keinesweges,
Nimmer mir die Sonn’ im Leben,

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Freude nicht im Lauf der Zeiten.“

     „Kenn’ den nicht, der mich gezeuget,
Die nicht, die mich hat getragen,
Vielleicht hat zum Weg die Ente,
In den Sumpf mich hingesetzet,
An den Strand sie mich geworfen
In der harten Steine Höhlung.“
     „Klein verlor ich meinen Vater,
Jung noch meine liebe Mutter,
Todt sind Vater nun und Mutter,

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Todt ist unser Stamm, der große;
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_209.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)