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Hört vom Sumpfe her die Tritte,
Von der Heide her das Lärmen,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Sei gepriesen, Gott, o Höchster,

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Tönt ein Horn, es kommt die Heerde,

Woher nahm der Knecht das Kuhhorn,
Daß er sich ein Blashorn machte?
Weßhalb kommt er denn so lärmend,
Bläst und tutet er nach Kräften,
Bläst entzwei die Ohrenhäute,
Lärmet, daß der Kopf mir berstet?“
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Fand der Knecht das Horn im Sumpfe,

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Holt’ ein Blasrohr aus dem Morast;

Deine Heerde steht im Gange,
An dem Hürdenfeld die Kühe,
Mögest du für Rauch nun sorgen
Und die Kühe melken gehen!“
     Ilmarinen’s Hausfrau heißet
Drauf des Hofes Alte melken:
„Gehe, Alte, um zu melken,
Geh’ du für die Rinder sorgen,
Glaube nicht zurecht zu kommen

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Selber von des Teiges Kneten!“

     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Immer wird die gute Wirthin,
Wird die kluge Frau des Hauses
Selber erst die Kühe melken,
Selber für die Rinder sorgen.“
     Ilmarinen’s Wirthin ging nun
Selber um für Rauch zu sorgen,
Ging darauf die Kühe melken,

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Blickte einmal auf die Heerde

Und beschaute ihre Rinder,
Redet Worte solcher Weise:
„Schön von Ansehn ist die Heerde,
Gut von Farbe sind die Rinder,
Wie gebürstet mit dem Luchsfell,
Mit des wilden Schafes Wolle,
Mit den strotzenddicken Eutern
Mit den harten Euterspitzen.“
     Bückt sich um die Küh’ zu melken,

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Setzt sich um die Milch zu locken,

Ziehet ein Mal, zieht das zweite,
Und versucht es noch das dritte,
Auf sie wirft der Wolf sich heftig,
Kommt der Bär herangeeilet;
An dem Mund zerreißt der Wolf sie,
Auf die Ferse wirft der Bär sich,
Beißet durch das Fleisch der Wade
Und zerbricht des Schenkels Knochen.
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,

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Lohnte so des Weibs Gespötte,

So des Weibes Hohn und Schmähung,
Zahlte so dem bösen Weibe.
     Ilmarinen’s stolze Hausfrau
Fing nun selber an zu weinen,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Übel thatst du, böser Hirte,
Triebst hier Bären nach dem Hause,
Wölfe zu dem großen Hofe.“
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,

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Gab ihr Antwort solcher Weise:

„Habe schlecht gethan als Hirte,
Aber du nicht gut als Wirthin:
Hast den Stein in’s Brot gebacken,
Mir ein Felsstück in die Wegkost;
Traf den Stein mit meinem Messer,
Hab’ am Felsstück es zerbrochen,
Meines theuren Vaters Messer,
Unsers Stammes gutes Eisen.“
     Sprach die Hausfrau Ilmarinen’s:

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„Hirte, du, o lieber Hirte,

Ändre du doch deine Meinung,
Nimm zurück die Zaubersprüche,
Laß mich aus des Wolfes Rachen,
Rett’ mich aus des Bären Tatzen!
Will dir bess’re Hemde geben,
Will dir schöne Hosen schenken,
Butter dir und Weizen geben,
Dich mit frischer Milch stets tränken,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_207.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)