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Den der Höchste uns verliehen,

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Gnadenvoll er uns gegeben!“

     „Tellerwo, Tapio’s Jungfrau,
Waldes-Tochter schöngestaltet,
Weichbekleidet, zarten Saumes,
Schön mit goldgelockten Haaren,
Die die Heerde du beschützest,
Sorge für das Vieh der Wirthin
In dem lieblichen Metsola,
In dem klugen Tapiola,
Hüte meine Heerde trefflich,

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Sorge kräftig für die Rinder!“

     „Schütze sie mit schönen Händen,
Streichle sie mit zarten Fingern,
Bürst’ sie zu dem Glanz des Luchses,
Kämm’ sie glatt wie Fischesflossen,
Leih des Meerthiers Farbe ihnen,
Gleich des wilden Schafes Wolle!
Kommt der Abend, wird es dunkel,
Wenn die Dämmerung erscheinet,
Führ’ die Heerde mir nach Hause,

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Vor der guten Wirthin Augen,

Schwankes Wasser auf dem Rücken,
Auf dem Kreuze milch’ge Seeen!“
     „Ist die Sonn’ nach Haus’ gegangen,
Wenn der Abendvogel singet,
Rede selbst zu meinem Viehe,
Sprich du zu den Hörnerträgern:
„„Nun nach Hause, Hörnerträger,
Milchbegabte, eilt nach Hause!
Gut ist’s euch zu Haus’ zu weilen,

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Weich der Boden dort zum Schlafen,

Grausig ist’s im Wald zu wandern,
An dem Strande hinzutoben;
Damit ihr nach Hause kommet,
Werden Weiber Feuer machen
Auf dem honigreichen Rasen,
Auf dem beerenreichen Lande.““
     „Nyyrikki, du Sohn Tapio’s,
Waldes-Sohn im blauen Rocke!
Stelle lange Fichtenstämme,

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Mit der Krone schöne Tannen

Du als Brücken in dem Schmutze,
Auf des Bodens schlechten Stellen,
In des Sumpfes flüss’gen Strecken,
In die Pfützen voller Schwankung!
Laß die Krummgehörnten gehen,
Laß die Doppelhuf’gen stürzen,
Eilen zu des Rauches Wolken,
Ohne Fehl und ohne Schaden,
Ohne in den Sumpf zu sinken,

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Ohne in den Schmutz zu fallen!“

     „Wenn die Heerde dieß nicht achtet,
Nicht des Nachts nach Hause wandert,
Schneide, Ebereschenjungfrau,
Schneide du, Wachholderjungfrau,
Eine Birke aus dem Haine,
Eine Ruthe aus dem Busche,
Eine Ebereschengerte,
Eine Peitsche von Wachholder
Hinter Tapio’s grünem Schlosse,

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Jenseits von dem Faulbaumberge,

Treib die Heerde nach dem Hofe,
Zu der Heizungszeit der Badstub’,
Treib des Hauses Heerd’ nach Hause,
Waldes-Vieh du nach Metsola!“
     „Otso, du, des Waldes Apfel,
Der die Honigtatze wölbet,
Wollen wir uns so vergleichen,
Laß uns einen Frieden schließen
Auf die ganze Zeit des Lebens,

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Auf die Tage, die wir leben,

Daß du nicht behufte Rinder,
Nicht die Milchverleiher stürzest
In dem Laufe dieses Sommers,
In des Schöpfers warmer Jahrzeit.“
     „Hörest du der Glocke Töne,
Hörst die Klänge du des Hornes,
Lege dich dann auf die Wiese,
Bette du dich auf dem Rasen,
Steck’ die Ohren in die Stoppeln,

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Deinen Kopf drück’ in die Bühle,

Oder fliehe in das Dickicht,
Gehe nach der Moosbehausung,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_201.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)