Saure Milch sich aus dem Dorfe,
Süße anderswoher schaffen.“
„Nie zuvor hat meine Mutter
In dem Dorf um Rath gefraget,
Weisheit nicht in andern Höfen;
Saure Milch von den Verwahrern,
Frische Milch sie her von Andern;
Ließ die Milch von Ferne kommen,
Schöne Milch aus weiter Ferne,
Kommen aus dem Reich Tuoni’s,
Aus Manala, aus der Erde,
Einsam in der Nacht sie kommen,
Im Verstecke in dem Dunkeln,
Daß es nicht die Schlechten hörten,
Nicht das schlechte Heu sie drückte,
Nicht Verderben sie ereilte.“
„Also sprach stets meine Mutter,
Selber sprech’ auch ich die Worte:
Wohin geht der Kühe Gabe,
Wohin ist die Milch geschwunden;
Ist zu Fremden sie getragen,
An des Dorfes Höf’ gebannet,
In den Schooß der Dorfes Buhlen,
Oder an die Bäum’ gerathen,
Zu dem Walde hin geschwunden,
Auf dem Haine ausgebreitet,
Auf die Fluren ausgegossen?“
„Nicht nach Mana soll sie eilen,
In die Fremd’ der Kühe Gabe,
In den Schooß der Dorfes Buhlen,
In den Arm der Unglücksvollen,
Auch an Bäume nicht gerathen,
Ausgebreitet sein im Haine,
Auf die Fluren ausgegossen;
Ist zu Hause selbst von Nöthen,
Jeder Zeit wird sie gebrauchet,
In dem Hause harrt die Wirthin
Mit dem Milchgefäß in Händen.“
„Sommertochter, Weiber Zierde,
Südentochter, Schöpfungsmutter!
Geh’ und füttre nun Syötikki,
Milch in Fülle der Hermikki,
Frischen Vorrath der Tuorikki,
Milch verleihe der Mairikki,
Frische Milch den lieben Kühen
Aus des schönsten Grases Spitzen,
Aus den schönbethauten Kräutern,
Aus der frischen Muttererde,
Aus den honigreichen Wiesen,
Von dem süßbetropften Rasen,
Durch der Heide Blumenjungfraun,
Durch die zarten Grasesjungfraun,
Durch der Wolke Milchverleih’rin,
Durch des Himmels Nabeljungfrau,
Daß sie milchgefüllte Euter
Stets gar angeschwollen tragen,
Für das kurze Weib zu melken,
Für die kleine Magd zu drücken!“
„Steige, Jungfrau, aus dem Thale,
Aus dem Quell, a mildes Mädchen,
Schöngestaltet in die Höhe!
Nimm du Wasser aus der Quelle,
Meine Heerde zu befeuchten,
Daß die Heerde schön gerathe,
Daß der Wirthin Vieh gedeihe,
Ehe noch die Wirthin kommet,
Ehe daß die Hirtin schauet,
Sie, die unglückreiche Wirthin,
„Mielikki, des Waldes Wirthin,
Gabenreiche Heerdenmutter!
Schick’ die längste deiner Mägde,
Deiner Dienerinnen beste,
Daß die Heerde sie beachten,
Nach dem Vieh voll Sorgfalt schauen,
In dem Lauf des großen Sommers,
In des Schöpfers warmem Sommer,
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_200.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)