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Zweiunddreißigste Rune.


     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Er, der Sohn mit blauen Strümpfen
Mit dem schönen goldnen Haare,
Mit gar guten Lederschuhen,
Fragte gleich im Haus des Schmiedes
An dem Abend schon vom Wirthen
Arbeit für denselben Abend,
Von der Wirthin für den Morgen:
„Nennen soll man mir die Arbeit

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Namen meiner Arbeit geben,

Welche Arbeit soll ich leisten,
Welchem Werk mich unterziehen?“
     Schmieder Ilmarinen’s Hausfrau
Überlegte hierauf bei sich,
Welche Arbeit leisten sollte
Der für Geld gekaufte Diener;
Ließ den Knecht als Hirten dienen,
Macht’ ihn zu der Heerde Hüter.
     Doch die übermüth’ge Wirthin,

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Diese zähnearme Alte,

Backt ein Brot für ihren Hirten,
Giebt dem Brote große Dicke,
Hafer unten, Weizen oben,
In der Mitt’ mit einem Steine.
     Schmiert das Brot mit flüß’ger Butter,
Schmiert mit Fett des Brotes Rinde,
Giebt es darauf ihrem Knechte,
Giebt’s als Nahrung ihrem Hirten;
Selbst belehrt sie so den Diener,

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Redet Worte solcher Weise:

„Sollst dieß Brot nicht früher essen,
Als die Heerd’ zum Wald getrieben!“
     Ilmarinen’s Hausfrau schicket
Drauf die Heerde auf die Weide,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Schick’ die Kühe in den Laubwald,
Sie, die Milchesspenderinnen,
Zu den Espen die Gehörnten,

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Zu den Birken hin die Rinder;

Daß sie Fett von dort sich holen,
Daß sie reichen Talg erlangen
Von dem offnen Waldungslande,
Von dem weiten Land im Haine,
Aus den hohen Birkenhainen,
Aus den niedern Espenbüschen,
Aus den goldnen Fichtenwäldern,
Aus dem silberreichen Dickicht.“
     „Hüte du, o Gott, du Theurer,

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Schütze du, o starker Schöpfer,

Schirme vor des Schadens Pfaden,
Hüte du vor jedem Übel,
Daß sie nicht in Drangsal kommen,
Sich in Schande nicht verwickeln!“
     „Wie im Haus du sie gehütet,
In der Hürde sie geschützet,
Also hüt’ sie in dem Freien,
Schütz’ sie außerhalb der Hürde,
Daß die Heerde gut gedeihe,

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Gut der Wirthin Vieh gerathe

Nach des Gutgesinnten Willen,
Gegen Wunsch des Bösgesinnten!“
     „Scheinen schlecht dir meine Hirten,
Gar zu schlimm die Hirtenmädchen,
Mach’ die Weide dann zum Hirten,
Erlen zu der Kühe Hütern,
Ebereschen ihr zu Schützern,
Bring’ der Faulbaum sie nach Hause,
Ehe sie die Wirthin suchet

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Und das andre Volk sich kümmert!“

     „Will die Weide sie nicht hüten,
Nicht die Eberesche warten,
Nicht die Erl’ die Kühe treiben,
Nicht nach Haus’ der Faulbaum bringen,
O, dann sende bess’re Leute,
Laß der Schöpfung schöne Töchter
Du mein Vieh dann übernehmen,
Sie die ganze Heerde schützen!
Hast der Mädchen ja gar viele,

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Hunderte, die dir gehorchen,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_198.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)