Ihre Hühnchen zog die Mutter,
Zog des großen Haufens Schwäne,
Setzt die Hühnchen hin zum Zaune,
In den Fluß sie ihre Schwäne;
Kam ein Adler, scheucht sie aufwärts,
Kam ein Habicht und zerstreut sie,
Kam ein Falke und zersprengt sie,
Einen trägt er nach Karjala,
Führt in’s Russenland den zweiten,
Der nach Rußland Fortgeführte
Wuchs heran zum Handelsmanne,
Der nach Karjala Getragne
Wuchs heran und hieß Kalerwo,
Der zu Haus Zurückgelass’ne
Namens Untamoinen mußte
Zu des Vaters Unglück wachsen,
Zu dem Herzeleid der Mutter.
Untamoinen setzt die Netze
Kalerwoinen sieht die Netze,
Nimmt in seinen Sack die Fische;
Untamo, der Arggesinnte,
Wurde böse und verdrießlich,
Wandt’ zum Kampfe seine Finger,
Zu dem Streite seine Arme,
Ob des Abfalls von den Fischen,
Ob der bloßen Brut der Barsche.
Streiten beide da und kämpfen,
Schlägt er heftig auf den andern,
Wird er selber auch geschlagen.
Darauf nun zum andern Male
An dem zweiten, dritten Tage
Sä’te Kalerwoinen Hafer
Hinter Untamoinen’s Wohnung.
Untamoinen’s Schaaf voll Keckheit
Fraß den Hafer Kalerwoinens;
Kalerwoinens Hund voll Bosheit
Untamo droht nun gewaltig
Kalerwoinen, seinem Bruder,
Kalerwo’s Geschlecht zu tödten,
Groß und klein dort zu erschlagen,
Zu vernichten das Gesinde,
Zu verbrennen seine Stube.
Schafft sich Männer schwertumgürtet,
Helden, deren Hand bewaffnet,
Knaben mit dem Speer am Gürtel,
Zog dann zu dem großen Streite
Gegen seinen eignen Bruder.
Kalerwoinen’s schönes Weibchen
Saß grad in des Fensters Nähe,
Blickt nach außen aus dem Fenster,
Redet Worte solcher Weise:
„Sollte dort sich Rauch erheben
Oder eine dunkle Wolke
An dem Saume jenes Feldes,
Keineswegs war es ein Nebel,
Dichter Rauch auf keine Weise,
Waren Untamoinen’s Helden,
Zogen dorten zu dem Streite.
Kamen Untamoinens Helden,
Sie, die Männer schwertumgürtet,
Bringen um Kalerwo’s Schaaren,
Tödten sein Geschlecht, das große,
Brennen seinen Hof zu Asche,
Blieb allein Kalerwo’s Jungfrau
Mit der Frucht in ihrem Leibe,
Diese führt die Schaar Untamo’s
Mit sich fort nach ihrer Heimath,
Daß die Stube sie dort kehre,
Rein den Boden dorten fege.
Wenig Zeit war hingegangen,
Ward ein kleiner Knab’ geboren
Von der Mutter voller Unglück;
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_193.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)