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Wird er übermäßig schamlos,
Wächst er an zu großer Frechheit;
Ließ es da in Fülle frieren,
Brachte Frost in vollem Maaße,
Fror das Eis zu Ellendicke,

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Sandte Schnee von Klafterhöhe,

Ließ des Muntern Boot erfrieren,
Ahti’s Fahrzeug in den Wogen.
     Wollte Ahti selbst im Froste,
In dem Eis erfrieren lassen;
Bat bereits um seine Finger,
Forderte schon seine Zehen;
Böse ward da Lemminkäinen,
Böse ward er und verdrießlich,
Drängt den Frost da in das Feuer,

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Stößt ihn in die Eisenesse.

     Hielt den Frost mit seinen Händen,
Faßt den Bösen mit den Fäusten,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Frost, du böser Sohn des Nordwinds,
Du gewalt’ger Sohn des Winters,
Laß die Finger mir nicht frieren,
Meine Zehen nicht erstarren,
Packe du nicht meine Ohren,

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Laß den Kopf mir nicht erfrieren!“

     „Hast genug um kalt zu machen,
Vieles kannst du frieren lassen,
Laß der Menschen Haut in Ruhe
Und den Leib der Mutterkinder,
Sümpfe laß und Land erstarren,
Laß die kalten Steine frieren
Und die Weiden in dem Wasser,
Laß die Espen lieber bersten,
Schäle ab der Birken Rinde,

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Und zersause du die Fichten,

Aber nicht die Haut der Menschen,
Nicht das Haar der Schöngeschaffnen!“
     „Wenn dir dieß genug nicht scheinet,
Laß du Andres noch erfrieren,
Laß die heißen Steine frieren
Und die gluthenreichen Blöcke,
Starke Eisenfelsen frieren,
Berge, die mit Stahl gefüllet,
Laß den Wuoksen du erstarren,

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Laß den Imatra verstummen,

Stopfe du des Strudels Kehle,
Laß du seinen Gischt erstarren!“
     „Soll ich deinen Ursprung sagen,
Deine Herkunft ich verkünden?
Kenne deinen Ursprung sicher,
Weiß gar wohl, wie du gewachsen:
Auf den Weiden ward die Kälte,
An der Birk’ der Frost geboren,
An dem Rand vom Haus Pohjola’s,

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An des Düsterlandes Stube

Von dem Vater voller Frevel,
Von der Mutter voller Schande.“
     „Wer hat wohl den Frost gesäuget,
Hat dem Harten Kraft gegeben,
Da die Mutter Milch nicht hatte,
Ihr die Brüste gänzlich fehlten?“
     „Nattern haben ihn gesäuget,
Schlangen haben ihn gesättigt
Mit den Warzen ohne Spitze,

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Mit den Eutern ohne Frische;

Wiegen mußt’ den Frost der Nordwind,
Rauhes Wetter bracht’ zum Schlafen
Ihn in schlechten Weidenteichen,
In den nimmerstillen Quellen.“
     „Schlecht geartet ward der Knabe,
Ward erfüllt von bösem Sinne,
War kein Name noch gegeben
Diesem schlechtgesinnten Knaben,
Ward ein Name ihm gegeben,

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Ihm der Name Frost verliehen.“

     „Lebte darauf an den Zäunen,
Weilte stets in den Gesträuchen,
Sommers wiegt’ er sich in Quellen,
Auf des Moores weitem Rücken,
Winters lärmt’ er in den Tannen,
Stürmt’ er in den Fichtenhainen,
Tobt’ er in den Birkenwäldern,
Wüthet’ er in Erlenbüschen,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_189.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)