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Siebenundzwanzigste Rune.


     Brachte jetzt schon meinen Kauko,
Ahti, diesen Inselländer,
Oft vorbei dem Todesrachen
Und der Zungenwurzel Kalma’s
Nach dem Hofe von Pohjola,
Zu dem Haus des dumpfen Haufens;
Jetzo muß ich es erzählen,
Muß ich’s wiederholt berichten,
Wie der lust’ge Lemminkäinen,

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Dieser schöne Kaukomieli

Nach Pohjola’s Stuben wandert,
Nach den Räumen Sariola’s,
Ungebeten zu dem Schmause,
Ungeladen zum Gelage.
     Lemminkäinen voller Frohsinn,
Voller Lebenskraft ein Jüngling,
Schritt als er hereingetreten
In die Mitte von der Stube,
Daß der Lindenboden schwankte,

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Daß die Fichtenstube toste.

     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Selber Worte solcher Weise:
„Seid gegrüßt, da ich erscheine,
Die ihr grüßet, seid begrüßet!
Höre, Wirth du von Pohjola,
Giebt es wohl auf diesem Hofe
Gerste für das Roß zu fressen,
Für den Mann hier Bier zu trinken?“
     Selber saß der Wirth Pohjola’s

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An des langen Tisches Ende,

Giebt von dort ihm solche Antwort,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Giebt gar wohl auf diesem Hofe
Für das Roß ein freies Plätzchen;
Werd’s auch nimmer dir versagen,
Bist du ordentlich im Zimmer,
Bei der Thüre stehn zu bleiben,
Bei der Thüre, an dem Sparren,
In dem Zwischenraum der Kessel,

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In der Nähe der drei Haken.“

     Warf der muntre Lemminkäinen
Hitzig seine schwarzen Haare
Von der dunkeln Kesselfarbe,
Redet Worte solcher Weise:
„Lempo mag hieher gerathen,
An der Thüre stehen bleiben,
Daß er sich am Ruß beschmiere,
An der Schwärze sich beflecke!
Niemals hat zuvor mein Vater,

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Niemals hat mein lieber Alter

Auf der Stelle je gestanden,
An der Thüre, bei dem Sparren;
War beständig Platz zu finden,
Raum auch für das Roß im Stalle,
Eine Stube für die Männer,
Winkel waren für die Handschuh,
Pflöcke für die Fußbekleidung,
Wände für der Männer Schwerter;
Weßhalb sollte ich’s nicht finden

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Wie zuvor mein lieber Vater?“

     Schritt nun höher in die Stube,
Wendet sich zum Tisches Ende,
Setzt sich an den Rand der Langbank,
An des Fichtenbänkchens Spitze,
Daß die lange Bank sich senkte,
Daß die Fichtenbank sich beugte.
     Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Komm’ wohl nicht als Gast gelegen,
Daß man nicht entgegen bringet

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Bier dem Gaste, der erschienen.“

     Ilpotar, die gute Wirthin,
Gab zur Antwort diese Worte:
„O du Jüngling Lemminkäinen,
Hast mir nicht des Gastes Aussehn!
Kommest mir den Kopf zu treten,
Meine Schläfen einzusenken;
Unser Bier steht noch als Gerste,
Hoch als Malz steht das Getreide,
Ungeknetet noch der Weizen,

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Und das Fleisch noch nicht gesotten,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_170.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)