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„Davon wird der Mann nicht sterben,
Nimmer auch ein Held verderben;
Kenne schon ein Ding dagegen,
Einen Rath und einen Ausweg;
Zaubre aus dem Schnee den Helden,

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Schlag’ den Mann mir aus der Schneeflur,

Dräng’ ihn in der Feuers Masse,
Treib’ ihn in die Gluth der Flammen
Zu dem gluthenreichen Bade
Mit dem kupferreichen Besen,
Selber schlüpf’ ich von der Seite,
Dränge ich mich durch das Feuer,
Daß der Bart mir nicht versenget,
Nicht verbrannt die Locken werden;
Mutter, die du mich getragen,

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Sage der Verderben letztes!“

     Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Das ist der Verderben drittes,
Bist du noch ein Stück gegangen,
Einen Tag darauf gewandert
Zu der Pforte von Pohjola,
Zu der allerengsten Stelle,
Kommt ein Wolf herangedämmert,
Kommt ein Bär herangeschimmert
An der Pforte von Pohjola,

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In dem allerengsten Gange;

Hunderte sind schon gefressen,
Dort zerrissen tausend Helden,
Weßhalb sollt’ man dich nicht fressen,
Fressen dich, den Schutzberaubten?“
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Mag das Schaaf man jung verzehren,
Es gar frisch in Stücke reißen,
Nimmer einen Mann, der schlechter,

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Einen Helden, der weit schwächer!

Bin umgürtet mit dem Gurte,
Mit der Schnalle eines Mannes,
Trag’ die Spangen eines Helden,
Damit ich nicht mög’ enteilen
In das Maul des Wolfs Untamo’s,
In des bösen Unthiers Rachen.“
     „Weiß, wie ich dem Wolfe komme,
Hab’ ein Mittel für den Bären:
Zaubre Zügel an das Wolfsmaul,

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Eisenketten an den Bären,

Oder stoße ihn zu Häcksel,
Siebe ihn in kleine Stücke;
Komme darauf in das Freie,
Bringe meinen Weg zu Ende.“
     Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Bist dann nimmer noch zu Ende;
Dieses hast du auf dem Wege,
Auf der Reise große Wunder,
Hast noch drei gewalt’ge Grausen,

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Drei Verderben für die Männer;

Hast noch, bist du hingekommen,
An dem Orte schlimmre Wunder:
Bist ein wenig du gewandert,
Kommst du zu dem Hof Pohjola’s,
Eisern ist der Zaun geschmiedet
Und von Stahl die Umfangsmauer,
Von der Erde bis zum Himmel,
Von dem Himmel bis zur Erde,
Speere sind die Zaunstaketen,

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Sind mit Schlangen nur durchflochten,

Nur mit Nattern statt der Gerten,
Sind mit Eidechsen bekleidet,
Lassen ihre Schwänze spielen,
Lassen ihre Köpfe zischen,
Heiser in den Lüften rauschen,
Kehren ihren Kopf nach außen.“
     „Auf der Erde liegen Schlangen,
Nattern ausgestreckt am Boden,
Zischen oben mit den Zungen,

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Schwingen unten ihre Schwänze;

Eine, die des Grausens voller,
Lieget vor dem Thor gerade,
Länger als des Daches Balken,
Dicker als des Ganges Stützen,
Zischet mit der Zunge oben,
Hebet drohend ihren Rachen,
Hebt ihn gegen keinen andern,
Hebt ihn gegen dich, den Armen.“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_162.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)