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Fünfundzwanzigste Rune.


     Längst schon ward gewartet,
Ward gewartet und geschauet,
Ob die Brautschaar bald erschiene,
In dem Hause Ilmarinen’s;
Triefen mußten da die Augen
Bei den Alten an den Fenstern
Sinken mußten junge Kniee
Bei dem Warten an der Pforte,
Kinderfüße mußten frieren

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Bei dem Stehen an den Wänden,

Schuh’ der Männerschaar zerreißen
Bei dem Rauschen an dem Ufer.
     Endlich nun an einem Morgen
War’s an einem schönen Tage,
Als man von dem Wald her Lärmen,
Dorther Schlitten rauschen hörte.
     Lokka, sie, die gute Wirthin,
Sie, die schöne Kalewtochter,
Redet Worte solcher Weise:

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„Dieses ist des Sohnes Schlitten;

Endlich kommt er von Pohjola
An der Seite seiner Gattin.“
     „Komm gerad’ zu diesem Lande,
Grade her zu diesem Hofe,
Zu der Stub’, des Vaters Erbschaft,
Die der Vorfahr schon erbauet!“
     Grade kommet Ilmarinen
Zu dem Hause, er, der Schmieder,
Zu der Stube seines Vaters,

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Die der Vorfahr schon gezimmert;

Haselhühner zwitschern schönstens
Auf dem frischgebognen Krummholz,
Munter rufen Kuckucksvögel
An dem Vordertheil des Schlittens,
Lustig springet auch das Eichhorn
An der Deichsel, die von Ahorn.
     Lokka, sie, die gute Wirthin,
Sie, die schöne Kalewtochter,
Redet Worte solcher Weise,

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Läßt auf diese Art sich hören:

„Auf den Neumond harrt die Dorfschaft,
Auf die Sonne junge Leute,
Kinder auf das Land mit Beeren,
Auf’s betheerte Boot das Wasser;
Ich hab’ nicht den Mond erwartet,
Auf die Sonne nicht geharret,
Habe meinen Sohn erwartet,
Ihn erwartet sammt der Gattin,
Schaute Morgens, schaute Abends,

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Wußt’ nicht, wohin er gerathen,

Ob er einen Kleinen groß zog,
Oder einen Magern speiste,
Daß er gar nicht kommen wollte,
Hatt’ es kräftig doch gelobet,
Zu den Seinen bald zu kommen,
Ehe seine Spur erkaltet.“
     „Immer schaute ich am Morgen,
Hatt’ es Tagelang im Kopfe,
Ob des Lieben Schlitten käme,

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Ob er auf dem Wege rauschte

Her zu diesem kleinen Hofe,
Zu der schmalgebauten Wohnung,
Wäre da ein Roß von Halmen,
Aus zwei Stücken hier ein Schlitten,
Würde ich den Schlitten preisen,
Würd’ ihn einen Schlitten nennen,
Wenn er meinen Lieben brächte,
Meinen Schönen mir nach Hause.“
     „Harrte so die ganze Zeitlang,

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Schaut’ hinaus im Lauf des Tages,

Schaute mit gebognem Haupte,
Daß die Haare sich verschoben,
Daß die Augen breiter wurden,
Harrte daß mein Lieber käme
Her zu diesem kleinen Hofe,
Zu dem schmalen Wohngebäude;
Endlich ist er doch gekommen,
Wiederum zurückgekehret,
Hat zur Seit’ ein schönes Antlitz,

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Neben sich gar rothe Wangen.“
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_151.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)