Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 147.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

     „Mußt stets auf die Schultern schlagen,

250
Ihres Rückens Fleisch erweichen,

Niemals auf die Augen schlagen,
Auch die Ohren nicht berühren,
Kämen Beulen an die Schläfe,
Blaue Flecken an die Augen,
Würde bald die Schwägrin fragen,
Es der Schwiegervater merken,
Es der Dorfes Ackrer sehen
Und des Dorfes Weiber lachen:
„„Ist wohl in dem Krieg gewesen,

260
Hat im Kampfe sich beweget,

Oder ist vom Wolf zerfleischet,
Von dem Waldbär wohl gepacket,
Oder war der Wolf ihr Gatte,
War der Bär ihr Ehgenosse“?
     Auf dem Ofen lag ein Alter,
Lag ein alter Bettler oben,
Von dem Ofen sprach der Alte,
Er, der Bettler, von dort oben:
„Niemals mögst du, armer Gatte,

270
Nie dem Sinn des Weibes folgen,

Ihrem Sinn, der glatten Zunge,
So wie ich, der arme Knabe!
Kaufte Fleisch und kaufte Bröte,
Kaufte Butter und auch Biere,
Kaufte Fische jeder Gattung,
Speisen von verschiednen Arten,
Biere aus dem eignen Lande,
Weizen ich aus fremden Ländern.“
     „Dieses wollt’ nicht gut gedeihen,

280
Wollte sich nicht gut gestalten,

Kam mein Weib in unsre Stube,
Kam und fuhr mir in die Haare,
Mit verändertem Gesichte
Und verdrehte ihre Augen;
Ächzte stets und stöhnte immer,
Redete mit bösen Worten,
Nannte mich nur einen Breitsteiß,
Schimpfte mich stets einen Hackklotz.“
     „Wußt’ schon einen neuen Ausweg,

290
Einen andern Weg zu finden:

Schält’ ich einen Zweig der Birke,
Nannt’ umarmend sie mich Vöglein,
Schnitt ich des Wachholders Wipfel,
Grüßt’ sie mich als goldnen Liebling,
Schlug ich sie mit Weidenruthen,
That sie an den Hals mir fallen.“
     Ach, das arme Mädchen seufzte,
Seufzte sehr und mußte stöhnen,
Fing gar heftig an zu weinen,

300
Redet’ Worte solcher Weise:

Nahe ist das Scheiden Andrer,
Vor der Thüre ihre Trennung,
Näher ist mein eignes Scheiden,
Näher meine eigne Trennung,
Wird mir gleich so schwer das Scheiden,
Gar beengend mir die Trennung
Von dem weitberühmten Dorfe,
Von dem wunderschönen Hofe,
Wo so schön ich aufgewachsen,

310
Freudvoll in die Höh’ geschossen,

In den Zeiten meines Wachsthums,
In dem Lauf der Kinderjahre.“
     „Habe früher nicht gewähnet,
Habe nie daran geglaubet,
Nie gewähnet, daß ich scheide,
Nicht geglaubt an eine Trennung
Von dem Saume dieses Schlosses,
Von dem Rücken dieses Berges;
Jetzo glaub’ ich’s, daß ich scheide,

320
Sehe ich es, daß ich gehe,

Leer schon ist der Krug des Abschieds,
Schon das Abschiedsbier getrunken,
Schon der Schlitten umgewendet
Mit dem Vordertheil nach außen,
Mit der Seite zu dem Stalle,
Zu dem Viehof mit den Leisten.“
     „Wie bezahle ich beim Scheiden,
Wie, ich Arme, bei der Trennung
Wohl die Milch der lieben Mutter,

330
Wie die Güte meines Vaters,

Wie die Liebe meines Bruders,
Wie die Freundlichkeit der Schwester

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_147.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)