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Vierundzwanzigste Rune.


     Schon belehret ist die Jungfrau,
Unterwiesen schon das Bräutlein;
Rede noch zu meinen Brüdern,
Sage dieß den Freiersleuten:
„Bräutigam, mein lieber Bruder,
Von den Brüdern du der beste,
Du der Mutterkinder liebstes,
Du der sanfteste der Söhne,
Höre, was ich jetzo sage,

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Was ich sage, was ich spreche

Über dieses Leinwandvöglein,
Über dein geliebtes Hühnchen!
     „Bräutigam, lob’ du dein Schicksal,
Lobe du was du erhalten,
Lobest du, so lobe kräftig,
Gutes hast du ja gewonnen,
Gutes hat verliehn der Schöpfer,
Gutes gnädig er gewähret!
Danke du nun auch dem Vater,

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Mehr noch danke du der Mutter,

Daß sie solch’ ein stattlich Mädchen,
Diese schöne Braut gewieget!“
     „Glanzvoll ist bei dir die Jungfrau,
Voller Klarheit dir zur Seite,
Strahlend ist sie dir verbunden,
Schön steht sie in deinem Schutze,
Eine frische Maid am Busen,
Voller Lebenskraft zur Seite,
Kraftvoll um mit dir zu dreschen,

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Wohl geeignet Heu zu mähen,

Stattlich um mit Kraft zu waschen,
Tüchtig um das Tuch zu walken,
Kunstvoll Fäden gut zu spinnen,
Kräftig am Gewand zu weben.
     „Läßt den Weberkamm so tönen,
Wie der Kuckuck auf dem Berge,
Läßt das Schifflein also gleiten,
Wie das Hermelin im Holze,
Also rasch dreht sie die Spuhle,

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Wie das Eichhornmaul die Eichel,

Fest hat nie das Dorf geschlafen,
Nie der Schloßbezirk geschlummert
Von des Weberkammes Klappern,
Von des Weberschiffleins Schnarren.“
     „Bräutigam, du lieber Jüngling,
Schöner Sproß des Männerhaufens!
Schmiede eine scharfe Sense,
Statt’ sie aus mit gutem Stiele,
Schnitz’ ihn an der Pforte Mündung

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Hämmre sie auf einem Baumstumpf;

Wenn dann Sonnenschein gekommen,
Führ’ die Jungfrau auf die Wiese,
Schaue, wie das Heu da rauschet,
Wie das harte Gras da zischet,
Wie das Riedgras dorten kreischet,
Wie der Sauerampfer sauset,
Wie die Hügelchen verschwinden,
Wie die jungen Sprossen brechen!“
     „Ist ein andrer Tag gekommen,

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Reiche ihr ein Weberschifflein,

Gieb des Weberkammes Kette,
Eine schöne Weberlade,
Einen Webertritt voll Schönheit,
Gieb ihr sämmtliches Geräthe,
Führ’ die Jungfrau dann zum Webstuhl,
Reiche ihr des Kammes Kette,
Dann erst wird der Kamm ertönen,
Wird der Webstuhl laut beweget,
Bis zum Dorfe tönt das Klappern,

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Weiter noch des Kammes Rauschen,

Das bemerken bald die Alten,
Fragen so des Dorfes Weiber:
„„Wer wohl webet am Gewebe?““
Antwort mußt du ihnen geben:
„„Meine Goldne ist’s, die webet,
Ist mein Herzelein, das lärmet;
Soll sie das Gewebe lockern,
Soll den Weberkamm sie dehnen?““
„„Lockre ja nicht das Gewebe,

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Laß den Kamm du ungedehnet:
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_144.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)