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Über Sümpfe, über Felder,
Wandert’ über weite Fluthen,
Zu des Bruders Ackergränze;
Trockne Fichten rauschten dorten,
Schönbekränzte Tannen lärmten,
Alle Krähen krächzten dorten,
Alle Elstern lärmten rufend:
„„Nicht ist hier jetzt deine Heimath,

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Nicht der Platz, wo du geboren.““

     „Nicht beachtet’ ich die Worte,
Ging zum Hofe meines Bruders,
Schon die Pforte redet’ zu mir,
Alle Felder sprachen also:
„„Weshalb kommst du nach der Heimath,
Was, o Elende, zu hören?
Längst gestorben ist dein Vater,
Hingesunken deine Mutter,
Ganz entfremdet ist dein Bruder

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Und sein Weib gleicht einer Russin.““

     „Habe das noch nicht beachtet,
Ging nun grade hin zur Stube,
Langte mit der Hand zum Handgriff,
Kalt war dieser in den Händen.“
     „Als ich in die Stub’ gekommen,
Bleib’ ich in der Thüre stehen;
Schön wohl war die Frau des Hauses,
Kam nicht um mich zu begrüßen,
Nicht um mir die Hand zu geben;

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Stolz war ich auch leider selber,

Ging nicht um sie zu begrüßen,
Nicht um ihr die Hand zu geben,
Legte meine Hand zum Ofen,
Kalt erschienen seine Steine,
Kehrt’ die Hände zu den Kohlen,
Ohne Hitze war die Kohle.“
     „Auf der Bank da lag mein Bruder,
Streckte sich dort an dem Ofen,
Kohlen klafterhoch am Halse,

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Spannenhoch an allen Gliedern,

Asche ellenhoch am Kopfe,
Eine Spanne harten Rußes.“
     „Fragt der Bruder von der Fremden,
Forschet also von dem Gaste
„„Woher kommst du über’s Wasser?““
Ich dagegen gab zur Antwort:
„„Kennest du nicht deine Schwester,
Nicht das ältre Kind der Mutter?
Kinder sind wir einer Mutter,

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Eines Vogels liebe Jungen,

Von derselben Gans gebrütet,
Aus demselben Nest des Feldhuhns.““
Fing der Bruder an zu weinen,
Wasser ihm im Aug’ zu fließen.“
     „Sprach der Bruder zu dem Weibe,
Flüsterte zu seiner Lieben:
„„Bringe meiner Schwester Speise!““
Scheelen Blickes bracht’ die Schwägrin
Kohl mir aus dem Haus zu essen,

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Wo das Fett der Welp gefressen,

Abgeleckt das Salz vom Hunde,
Wo der Schwarze schon gefrühstückt.“
     „Sprach der Bruder zu dem Weibe;
Flüsterte zu seiner Lieben:
„„Bringe Bier du unserm Gaste!““
Scheelen Blickes bracht’ die Schwägrin
Wasser drauf dem Gast zu trinken,
War nicht Wasser, das zu brauchen,
War der Schwester Augenwasser,

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Händewasser meiner Schwägrin.“

     „Ging nun wieder fort vom Bruder,
Eilte aus dem Heimathsitze,
Ging behende fortzuwandern,
Fing ich, Ärmste, an zu schreiten,
An den Ufern hin zu gehen,
Mühevoll mich fortzuschleppen
Stets zu unbekannten Thüren,
Hin zu lauter fremden Pforten,
Zu dem Strand die armen Kinder,

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Zu des Dorfes Sorg’ die Armen.“

     „Giebt der Leute jetzt gar manche,
Viele giebt es, die da sprechen,
Mit gar böser Stimme reden,
Mich mit scharfen Reden stechen,
Giebt der Leute jetzt gar wenig,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_142.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)