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Sittenlos dem Hause nahen,
Tugendlos der Männerwohnung!
Nach den Sitten frägt die Wohnung,
Nach den Sitten stets die gute,
Nach dem Sinne forschen Männer,
Nach dem Sinn der Männer bester;
Klugheit wird erst dann gefordert,
Wenn das Haus von schlechten Sitten,
Ehrlichkeit erst dann vermisset,

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Wenn der Mann von schlechten Sitten.“

     „Ist der Greis ein Wolf im Winkel,
Im Verschlag die Alte Bärin,
Auf der Schwell’ die Schlang’ der Schwager,
Auf dem Hof ein Keil die Schwägrin,
Gleiche Ehre mußt du geben,
Tiefer mußt du dich dort bücken,
Als zur Seite deiner Mutter,
Als in deines Vaters Stube
Vor dem Vater du dich bücktest

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Und die Mutter du verehrtest.“

     „Wirst nun immer haben müssen,
Klugen Sinn und rasche Fassung,
Stets Gedanken reich an Kräften,
Immer Einsicht ohne Wechsel,
An dem Abend scharfe Augen,
Um das Licht gut wahrzunehmen,
An dem Morgen scharfe Ohren,
Um des Hahnes Ruf zu hören!
Hat der Hahn ein Mal gekrähet,

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Noch das zweite nicht gerufen,

Muß die Junge sich erheben,
Ruhig schlafen noch die Alten.“
     „Wenn der Hahn nicht krähen sollte,
Nicht des Wirthen Vogel rufen,
Mußt den Mond als Hahn du halten
Und als Mahner du den Bären,
Öfters mußt hinaus du gehen,
Gehen auf den Mond zu blicken,
Von dem Bären zu erfahren,

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Von den Sternen Rath zu holen!“

     „Steht der große Bär gerade
Mit dem Kopf gewandt nach Süden,
Mit dem Schwanze hin nach Norden;
Dann ist’s Zeit dir aufzustehen
Von des jungen Mannes Seite,
Aus des lebensfrischen Armen,
Feuer aus der Asch’ zu suchen,
Einen Funken in der Schachtel,
Feuer auf das Holz zu blasen

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Achtsam, ohn’es auszubreiten.“

     „Ist kein Feuer in der Asche,
Ist kein Funke in der Schachtel,
Rüttle dann den lieben Gatten,
Schüttle deinen Mann voll Schönheit.
Gieb mir Feuer, o Geliebter,
Einen Funken, liebes Beerlein!“
     „Hast den Feuerstein, den kleinen,
Etwas Zunder du erhalten,
Schlag dann eilends an das Feuer,

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Steck’ den Kienspan in die Klammer,

Mach’ dich auf den Weg zum Viehstall,
Um die Heerde dort zu füttern,
Brüllt die Kuh der Schwiegermutter
Und das Roß des Schwähers wiehert,
Deiner harrt die Kuh des Schwagers
Und das Kalb der Schwägrin blöket,
Daß ihm Heu gereichet werde,
Klee ihm vorgeworfen werde.“
     „Geh gebücket durch die Hürde,

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Mit gesenktem Kopf im Viehhof,

Füttre voller Lust die Kühe,
Mit Bedacht die Lämmerheerde,
Reiche gutes Stroh den Kühen,
Trank den Kälbern der Geplagten,
Zarte Halme gieb den Füllen,
Weiches Heu den jungen Lämmern,
Springe ja nicht auf die Schweine,
Stoß nicht mit dem Fuß die Ferkel,
Trag den Freßtrog zu den Schweinen,

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Zu den Ferkeln hin die Mulde!“

     „Nimmer magst du ruhn im Viehhof,
Nimmer schlafen in der Hürde;
Hast den Viehhof du besuchet,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_134.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)