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Dreiundzwanzigste Rune.


     Jetzo wird belehrt die Jungfrau,
Wird das Bräutlein unterwiesen;
Wer belehret wohl die Jungfrau,
Unterweiset wohl das Mädchen?
     Osmotar, die schöne Jungfrau,
Diese schöne Kalewtochter,
Gab Belehrung nun dem Mädchen,
Unterweisung der Verwaisten,
Wie mit Freude sie wohl leben,

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Wie mit Ruhm sie weilen könnte,

Freudvoll in dem Haus der Mannes,
Ruhmvoll bei der Schwiegermutter.
     Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Bräutlein, meine liebe Schwester,
Zartes Laub des jungen Schößlings,
Höre jetzo, was ich sprechen,
Was ich wiederholen werde!
Ziehst, o Blume, nun von hinnen,

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Wanderst, Erdbeerlein, in’s Weite,

Reisest fort, o buntes Tüchlein,
Schreitest, zartes Sammetläppchen,
Aus dem ruhmerfüllten Hause,
Aus dem schönen Wohngebäude,
Kommest nun zu anderm Hause,
Ziehest ein in fremde Wirthschaft,
Anders ist’s in anderm Hause,
Und in fremder Wirthschaft anders,
Voll Gedanken dort das Gehen

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Und die Arbeit voll Bedenken,

Nicht so wie auf Heimathfluren
Auf der eignen Mutter Feldern:
Singen war dort in den Thälern,
Lustig Krähen in den Gängen.“
     „Gehest du aus diesem Hause,
Kannst du alles andre nehmen:
Drei der Dinge laß im Hause:
Träume, die man hat am Tage,
Deiner Mutter liebe Worte

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Und das Kosten frischer Butter!“

     „Alles andre nimm hinüber,
Nur den Traumsack hinterlasse
Du den Mädchen in dem Hause
An des Ofens breiter Kante;
Wirf den Sang zum End’ der Bänke,
Zu den Fenstern freud’ge Lieder,
Deine Mädchenschaft zum Besen,
An den Bettuchsaum das Toben,
An die Ofenbank die Streiche,

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Auf den Boden deine Trägheit,

Oder gieb sie der Gespielin,
Füll’ den Schooß der Brautsgefährtin,
Daß sie in den Busch sie führe,
Auf das Heideland sie trage!“
     „Neue Sitte ist zu lernen
Und die frühre zu vergessen,
Vaterliebe zu verlassen,
Schwäherliebe zu erfassen,
Tiefer mußt du dich nun bücken,

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Gute Worte mußt du spenden!“

     „Neue Sitte ist zu lernen
Und die frühre zu vergessen,
Mutterliebe zu verlassen
Gegen Schwiegermutterliebe,
Tiefer mußt du dich nun bücken,
Gute Worte mußt du spenden!“
     „Neue Sitte ist zu lernen
Und die frühre zu vergessen,
Bruderliebe zu verlassen,

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Schwagerliebe zu erfassen,

Tiefer mußt du dich nun bücken,
Gute Worte mußt du spenden!“
     „Neu Sitte ist zu lernen
Und die frühre zu vergessen,
Schwesterliebe zu verlassen,
Mußt die Schwägerin nun lieben,
Tiefer mußt du dich nun bücken,
Gute Worte mußt du spenden!“
     „Mögst du nie in deinem Leben,

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Nie, so lang’ der Mond noch glänzet,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_133.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)