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Seinen Mond nannt’ dich der Vater,

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Sonnenschein nannt’ dich die Mutter,

Wasserschimmer dich der Bruder,
Blaues Tuch nannt’ dich die Schwester;
Gehest nun zu anderm Hause,
Hin zu einer fremden Mutter,
Nimmer gleichet sie der eignen,
Nie der Mutter eine Fremde,
Selten giebt sie rechte Weisung,
Selten rathet sie zum Besten,
Strauch schilt dich der Schwiegervater,

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Lappenschlitten dich die Schwäh’rin,

Schwellentreppe dich dein Schwager,
Frauenschreckbild dich die Schwägrin.“
     „Wärest dann erst gut gewesen,
Wärest heilvoll dann gewesen,
Wärst als Dampf du aufgestiegen,
Wärst als Rauch du ausgezogen,
Als ein Blättlein fortgeflogen,
Als ein Funken fortgeeilet.“
     „Bist als Vogel nicht geflogen,

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Bist als Blättlein nicht geflattert,

Bist als Funken nicht geeilet,
Nicht als Rauch hinausgezogen.“
     „O du Jungfrau, liebe Schwester!
Hast anjetzo schon getauschet,
Schon vertauscht den lieben Vater
Gegen einen bösen Schwäher,
Schon vertauscht die liebe Mutter
Gegen eine Schwiegermutter,
Hast vertauscht den lieben Bruder

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Gegen einen argen Schwager,

Hast vertauscht die sanfte Schwester
Gegen eine spött’sche Schwägrin,
Hast vertauscht das Leinenlager
Gegen rußbedeckte Steine,
Hast vertauscht das klare Wasser
Gegen schmutzgefärbten Moder,
Hast vertauscht die sand’gen Ufer
Gegen schwarzes Schuttgerölle,
Hast vertauscht die lieben Haine

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Gegen öde Heidestrecken,

Hast vertauscht die Beerenhügel
Gegen starre Stoppelfelder.“
     „Hast, o Jungfrau, du gewähnet,
So gedacht, o junges Hühnlein:
Keine Sorgen, wen’ger Arbeit
Wird dir sein von diesem Abend,
Wenn zum Schlaf du fortgeführet,
Und zur Ruhe du geleitet?“
     „Nicht zum Schlaf wirst du geführet,

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Nicht um Ruhe zu genießen,

Wachen hast du zu erwarten,
Harte Schläge durch die Sorgen,
Mußt dir manchen Kummer machen,
Wirst in böse Stimmung kommen.“
     „So lang’ du kein Kopftuch hattest,
Hattest du auch keinen Kummer,
So lang’ dir das Leintuch fehlte,
Fehlte es an großen Sorgen;
Erst das Kopftuch bringet Kummer,

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Erst die Leinwand böse Stimmung,

Erst das Flachstuch große Sorgen
Und das Lein erst endlos Trauern.“
     „Wie ist wohl im Haus die Jungfrau!
So ist sie im Haus des Vaters
Wie der König in dem Schlosse,
Fehlt ihr höchstens nur am Schwerte!
Anders geht’s der Schwiegertochter,
Also lebt sie bei dem Manne
Wie in Rußland der Gefangne,

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Nur daß ihr die Wächter fehlen.“

     „That die Arbeit als es Zeit war,
Wandte voller Müh’ die Schultern,
War durchweichet von dem Schweiße
Und die Stirne glänzt’ vom Schaume;
Kommet eine andre Stunde,
Muß daß Feuer an sie schüren,
Muß dem Ofen Heizung geben,
Dorthin ihre Hände richten.“
     „Fassen mußte da die Arme,

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Fassen dort das arme Mädchen

Lachses Sinn und Kaulbarschzunge,
Laune von dem Barsch im Teiche,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_129.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)