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Auf des Wassers weitem Busen,
Auf den Fluren laut gelärmet,
In dem Föhrenwald gerufen,
In dem dichten Hain gesprochen.“
     „Stark und schön war meine Stimme,
Meine Weisen waren herrlich,
Flossen gleich dem schönsten Flusse,

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Rauschten wie des Wassers Strömung,

Glitten wie auf Schnee der Schneeschuh,
Auf der Fluth die Segelschiffe;
Schwer ist jetzo es zu sagen,
Schwerer ist es zu erkennen,
Was die starke Stimm’ gebrochen,
Was die liebe Stimm’ gesenket,
Nicht mehr ist sie gleich dem Flusse,
Strömt nicht mehr mit Fluthenfülle,
Gleicht der Hark’ auf Stubbenfeldern,

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Einer Fichte auf der Schneetrift

Einem Schlitten in dem Sande,
Einem Boot auf trocknen Steinen.“
     Selbst der alte Wäinämöinen
Redet Worte solcher Weise:
„Wenn kein anderer erscheinet,
Um mit mir zugleich zu singen,
Mach’ ich mich allein an’s Singen,
Lass’ allein die Lieder schallen,
Da zum Sänger ich geschaffen,

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Da zum Sprecher ich geboren,

Frage nicht den Weg von andern,
Nicht der Lieder Ziel von Fremden.“
     Selbst der alte Wäinämöinen,
Er, des Sanges ew’ge Stütze,
Macht sich an das Werk der Freude,
An die That des Liedersingens,
Läßt die Freudenlieder tönen,
Kräft’ge Worte laut erschallen.
     Sang der alte Wäinämöinen

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Sang und ließ nun Weisheit hören,

Fehlt ihm nicht an guten Worten,
Nicht an Stoff zu schönen Liedern,
Eher fehlet Stein dem Felsen,
Einem Binnenwasser Blümlein.
     Sang der alte Wäinämöinen
Zu der Freud’ des langen Abends,
Daß die Weiber alle lachten,
Froh der Männer Laune wurde,
Daß sie lauschten, daß sie staunten,

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Ob der Weisen Wäinämöinen’s,

Welche Staunen allen Hörern,
Staunen auch den Müß’gen brachten.
     Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet, als den Sang er endet:
„Bin als Sänger nicht bedeutend,
Bin es nicht als Zaubersprecher,
Kann nicht viel als solcher leisten,
Habe nur ein schwach Vermögen;
Wenn der Schöpfer singen wollte,

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Mit dem Munde Worte sprechen,

Würd’ er kräftig Lieder singen,
Würd’ er zauberkräftig sprechen.“
     „Säng’ des Meeres Fluth zu Honig,
Seinen Sand zu schönen Erbsen,
Meeres Kies zu gutem Malze,
Säng’ zu Salz des Meeres Steine,
Säng’ zu Kornland breite Haine,
Laubwald rasch zu Weizenfluren,
Berge bald zu süßen Kuchen,

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Steine schnell zu Hühnereiern.“

     „Würde singen, würde zaubern,
Würde reden, würde sprechen,
Würd’ zu diesem Hofe zaubern
Voll von Kühen eine Hürde,
Ställe voll von buntgestirnten,
Fluren voll von milchbegabten,
Hundert Hörnerträgerinnen,
Tausend euterreichen Kühen.“
     „Würde singen, würde zaubern,

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Würde reden, würde schaffen

Einen Luchspelz unserm Wirthen,
Einen Tuchrock unsrer Wirthin,
Feste Schuhe ihren Töchtern,
Rothe Hemde ihren Söhnen.“
     „Gott, gewähre du beständig,
Gieb, o Schöpfer voller Wahrheit,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_124.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)