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Redet’ Worte solcher Weise:
„Stehe auf, o Knecht des Menschen,
Aus dem Schlafe von dort unten,
Aus dem ewiglangen Schlummer!“
     Selbst Wipunen reich an Liedern
Ist alsbald vom Schlaf erwachet,
Fühlet, daß er hart getroffen
Und von heft’gem Schmerz geplaget,
Beißet in die Eisenstange,

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Beißt das obre, weiche Eisen,

Kann den Stahl nicht gleichfalls beißen,
Nicht des Eisens Herz verzehren.
     Wäinämöinen, er, der Alte,
Stolpert an dem Munde stehend
Mit dem einen Fuß ins Innre,
Gleitet mit dem linken Fuße
In den großen Mund Wipunen’s,
Mitten durch die Backenknochen.
     Selbst Wipunen reich an Liedern

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Öffnet gleich den Mund noch weiter,

Breitet aus des Mundes Winkel,
Schlingt den Mann mit seinem Schwerte,
Schluckt ihn rauschend durch die Kehle,
Ihn, den alten Wäinämöinen.
     Selbst Wipunen reich an Liedern
Redet Worte solcher Weise:
„Habe manches schon gegessen,
Eine Zieg’, ein Schaf gespeiset,
Eine güste Kuh verschlucket,

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Einen Eber wohl verschlungen,

Nie doch hab’ ich solche Speise,
Solchen Bissen nie gekostet.“
     Selbst der alte Wäinämöinen
Redet Worte solcher Weise:
„Seh’ bereits mein Unglück kommen,
Seh’ herein das Unheil brechen
In der engen Hürde Hiisi’s,
In dem Grabgewölbe Kalma’s.“
     Dachte nach und überlegte,

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Wie zu sein und wie zu leben;

Hatt’ ein Messer in dem Gürtel
Mit dem Schaft vom Masernholze,
Zimmert aus dem Schaft ein Fahrzeug,
Baut ein Boot sich voller Kunde,
Rudert fleißig mit dem Boote
Durch den Darm nach beiden Enden,
Ruderte durch alle Gänge,
Schleppt’ sich fort durch alle Winkel.
     Selbst Wipunen reich an Liedern

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Ward dadurch nicht sehr berühret;

Darum machte Wäinämöinen
Selber sich sofort ans Schmieden,
Fing das Eisen an zu hämmern,
Macht sein Hemd geschwind zur Schmiede,
Aus den Ärmeln macht er Bälge,
Aus dem Pelz des Balges Öffnung,
Aus dem Hosenpaar die Röhren,
Aus den Strümpfen dann die Mündung,
Brauchet seine Knie als Amboß,

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Seinen Arm braucht er als Hammer.

     Schmiedete mit großem Lärmen,
Hämmerte mit lautem Klopfen,
Schmiedet’ ohne Rast die Nächte,
Schmiedete am Tage emsig
In des Krafterfüllten Magen,
In des Zauberkund’gen Innerm.
     Selbst Wipunen reich an Liedern
Redet Worte solcher Weise:
„Wer wohl bist du von den Männern,

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Wer wohl aus der Zahl der Helden?

Hab’ verzehret hundert Helden,
Tausend Männer wohl verschlungen,
Nie gegessen deinesgleichen:
Kohlen steigen auf zum Munde,
Brände kommen an die Zunge,
Eisenschlacken in die Kehle.“
     „Gehe, Scheusal, auf die Wandrung,
Fliehe fort, du Landes Plage,
Eh’ ich deine Mutter suche,

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Deiner Alten alles sage!

Sage ich es deiner Mutter,
Offenbare ich’s der Alten,
Hat die Mutter mehr zu leiden,
Größre Mühe dann die Alte,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_089.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)