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     Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„O du Mann geringer Einsicht,
Wähntest Zaubrer zu bezaubern,
Lappensöhne fest zu bannen,
Kennest nicht den Schmerz der Schlange,

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Nicht die Qual der Wassernatter:

In dem Wasser ist ihr Ursprung,
In der Fluth entstand die Schlange,
Aus dem guten Hirn der Ente,
Aus dem Mark der Meeresschwalbe;
Syöjätär spie in das Wasser,
Warf den Speichel auf die Wogen,
Wasser trieb ihn in die Länge,
Weich beschien ihn dann die Sonne,
Wurde von dem Wind gewieget,

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Von der Wasserlust geschaukelt,

Von der Fluth zum Strand getrieben,
Von der Brandung ausgeworfen.“
     Lemminkäinen’s Mutter wiegte
Drauf ihr Söhnchen unverdrossen
Wiederum zum frühern Leben,
Wiegte ihn ins früh’re Dasein,
Daß er um ein Stückchen besser,
Schöner noch als früher wurde;
Fragte drauf von ihrem Sohne,

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Ob ihm irgend etwas fehlte.

     Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Fehlt mir noch an vielen Dingen,
Dorten ruht mein Herz gar gerne,
Dort verweilen meine Sinne:
Bei des Nordens schönen Jungfraun,
Bei den schöngelockten Mädchen;
Nordlands schimmelohr’ge Alte
Giebt mir nimmer ihre Tochter,
Wenn den Vogel ich nicht schieße,

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Nicht den Schwan gefangen nehme

Aus dem Flusse von Tuoni
Aus des heil’gen Stromes Wirbeln.“
     Sprach die Mutter Lemminkäinen’s
Selber Worte solcher Weise:
„Laß die Schwäne du in Frieden,
Laß die Enten ruhig schwimmen
In dem schwarzen Fluße Tuoni’s,
In den feuerreichen Wirbeln,
Gehe nach der Heimath Gränzen

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Mit der jammervollen Mutter,

Preise du dein Glück genugsam,
Lobe Gott vor allen Dingen,
Daß er rechte Hülf’ gewähret,
Dich zum Leben hat erwecket
Von Tuoni’s schlauen Pfaden,
Von den Gränzen von Manala;
Selber hätt’ ich nichts vollführet,
Nicht das Kleinste ausgerichtet
Ohne Gott den Liebevollen,

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Ohne Hülf’ des wahren Schöpfers!“

     Lemminkäinen voller Frohsinn
Ging geraden Wegs nach Hause
Mit der vielgeliebten Mutter,
Mit dem überalten Weibe.
     Dort nun lasse ich den Kauko,
Ihn, den muntern Lemminkäinen,
Lass’ ihn aus dem Liede lange,
Wende meinen Sang geschwinde,
Wende ihn zu andern Dingen,

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Sende ihn auf neue Bahnen.
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_082.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)