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Eilt durch Sümpfe, eilt durch Felder,
Eilt durch überwilde Wälder
Zu dem Kohlenberg des Höchsten,
Hin zu Hiisi’s Gluthgefilden.
     Gleitet einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Kommt er zu dem großen Berge,
Steigt er auf den großen Felsen,
Wendet seinen Blick nach Nordwest,

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Durch die Sümpfe hin nach Norden;

Es erscheinen Tapio’s Höfe,
Golden strahlen alle Thüren
Durch die Sümpfe her von Norden,
Durch das Buschwerk an dem Berge.
     Lemminkäinen voller Frohsinn
Eilt sogleich nun von der Stelle,
Nahet nach und nach dem Orte,
Naht den Fenstern von Tapio;
Macht verborgen sich ans Lauern,

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Kauernd an dem sechsten Fenster,

Geberinnen saßen drinnen,
Ausgestreckt des Waldes Mütter,
Alle in der Werktagskleidung,
In den starkgeschmutzten Lumpen.
     Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Weshalb sitzst du, Waldeswirthin,
In der schlichten Werktagskleidung,
Wälzst du dich in Arbeitslumpen,
Bist gar schmutzig anzuschauen,

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Von Gestalt gar wunderseltsam,

Bist gar unschön anzublicken
Mit dem überplumpen Leibe?“
     „Als ich sonst im Walde weilte,
Waren drei der Burge dorten,
Eine hölzern, eine beinern,
Steinern war der Burge dritte,
Sechs der schönsten, goldnen Fenster
Waren dort an allen Wänden,
Blickte rasch durch sie nach innen

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Während an der Wand ich hockte,

Sah des Tapiohofes Wirthen,
Sah des Tapiohofes Wirthin,
Tellerwo, die Tapiojungfrau,
Mit den andern Tapioleuten
Sämmtlich in dem Golde rauschen,
In dem Silber sich bewegen;
Selbst des Waldes schöne Wirthin,
Sie, die wonnevolle Wirthin,
Hatt’ am Arme goldne Spangen,

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Goldne Ringen an den Fingern,

Ihren Kopf in goldnem Schmucke,
Hatt’ ihr Haar in goldner Binde,
Goldne Ringe an den Ohren,
Schöne Perlen an dem Halse.“
     „Holde Wirthin in dem Walde,
Honigmutter von Metsola,
Fort wirf du die schlechten Strohschuh,
Fort die Schuh von Birkenrinde
Ziehe aus die schlechten Lumpen,

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Ab das Hemd der Arbeitstage,

Ziehe an die Wonnekleidung,
Thue an das Hemd des Festes,
Während ich im Walde weile,
Dorten meine Beute suche!
Habe große Langeweile,
Bin gewiß gar sehr verdrießlich,
Ganz umsonst hieselbst zu weilen
Ohne Fang zu allen Zeiten,
Wenn nicht du ihn mir gewährest,

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Daß ich selten mich erhole,

Lang ist freudenleer der Abend,
Lang der Tag stets ohne Beute.“
     „Dunkelbärt’ger Greis des Waldes
Mit dem Strauchhut, mit dem Moospelz!
Kleid’ die Wälder nun in Leinwand,
In Gewänder du die Haine,
Gieb den Espen warme Hüllen,
Gieb den Erlen weiche Kleider,
Leih den Tannen schönes Silber,

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Schmück mit Gold die schlanken Föhren,

Tannen mit dem Kupfergürtel,
Fichten mit dem Silbergurte,
Birken mit den goldnen Blumen,
Ihren Stamm mit goldnem Rauschwerk,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. J. E. Frenckell & Sohn, Helsingfors 1852, Seite 070. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_070.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)