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     Wenig kümmert’s Lemminkäinen,
Schlug das Roß mit seiner Peitsche,
Lärmte mit der perlenreichen,
Stürmte hastig auf dem Wege,
Auf der mittelsten der Straßen
Nach dem Hofe in der Mitte,
Fragte an des Hauses Schwelle,
Redet an dem Schirmdach also:
„Ist wohl in der Stube jemand,

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Der die Zügel abzunehmen,

Der von Brust und Joch die Riemen
Abzulösen wohl verstände?“
     Von dem Ofen ruft die Alte,
Von der Bank die gar Geschwätz’ge:
„Findest wohl in diesem Hause,
Wer die Zügel ab dir nehmen,
Wer die Brustbedeckung lösen,
Wer die Deichsel senken könnte;
Findest hier wohl zehn der Männer,

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Hundert selbst, wenn du begehrest,

Welche dich von hier befördern,
Pferde dir zum Reisen geben,
Schurke, dich nach Haus’ zu bringen,
Nach der Heimath, schlimmer Bursche,
Hin zu deines Vaters Sitze,
Zu dem Aufenthalt der Mutter,
Zu dem Bruder an der Pforte,
Zu den Schwestern auf dem Boden,
Eh’ der Tag zu End’ gekommen,

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Eh’ die Sonne sich gesenket.“

     Wenig kümmert’s Lemminkäinen,
Redet Worte dieser Weise:
„Todt sollt’ man die Alte schießen,
Sie, die Wackelkinn’ge schlagen.“
Ließ sein Roß von dannen eilen,
Stürmte hastig auf dem Wege
Auf der obersten der Straßen
Hin zum obersten der Höfe.
     Als der muntre Lemminkäinen

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Nun zu diesem Hof gekommen,

Sprach er Worte solcher Weise,
Ließ auf diese Art sich hören:
„Stopf, o Hiisi, du dem Hunde,
Stopfe, Lempo, ihm die Schnauze,
Schließe du das Maul dem Kläffer,
Zügle du des Hundes Zähne,
Daß er nicht die Stimm’ erhebe,
Wenn der Mann vorübergehet!“
     Als er auf den Hof getreten,

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Schlug er mit der Peitsch’ die Erde,

Aus dem Boden stieg ein Nebel,
In dem Nebel stand ein Männlein,
Löste rasch die Brustbedeckung,
Senkte dann die Deichselstangen.
     Selbst der muntre Lemminkäinen
Lauschte dann mit offnen Ohren,
Ohne daß es jemand merket,
So daß niemand es gewahret,
Höret auf dem Hofe Lieder,

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Durch die moos’gen Fugen Worte,

Durch die Wände hört er spielen,
Durch die Bretter hört er singen.
     Wirft dann einen Blick nach innen,
Lauert heimlich in die Stube,
Voll von Zaubrern war die Stube,
Angefüllt von lauter Sängern,
An den Wänden waren Spieler,
Seher an der Thüre Mündung,
Kund’ge saßen auf den Bänken,

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Böse Zaubrer an dem Ofen,

Sangen lauter Lappenlieder,
Schrillten lauter Hiisi-Weisen.
     Selbst der muntre Lemminkäinen
Sucht sich anders zu gestalten,
Wandelt sich in andre Größe,
Gehet durch die Eck’ ins Innre,
Dringt hinein in das Gebäude,
Redet selber solche Worte:
„Schön ist der Gesang, der endet,

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Gut ein Lied, das voller Kürze,

Besser ist’s die Weisheit sparen,
Als zur Hälfte abzubrechen.“
     Selbst die Wirthin von Pohjola
Wird beweglich auf dem Boden,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_063.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)