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     So nun stillte er die Strömung,
Hemmte so die Bahn des Blutes,
Schickte seinen Sohn zur Schmiede,

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Um dort Salbe zu bereiten

Aus des Grases zarten Fasern,
Aus der Blüth’ der Tausendkrone,
Aus dem Honig, der getröpfelt,
Aus des süßen Seimes Theilchen.
     In die Schmiede ging der Knabe,
Um die Salbe zu bereiten,
In den Weg kam eine Eiche,
Von der Eiche fragt er also:
„Hast du Honig in den Zweigen,

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Hast du Seim an deiner Rinde?“

     Klüglich antwortet die Eiche:
„Ja noch gestern tropfte Honig
Mir an meine breiten Zweige,
An dem Wipfel blieb er hängen
Von den Wolken, die da rauschten,
Von dem Duft der Lämmerwolken.“
     Nimmt der Eiche seine Spänchen,
Nimmt des Holzes mürbste Brocken,
Nimmt gar viele gute Gräser,

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Nimmt verschiedenart’ge Kräuter,

Welche nicht in diesen Ländern,
Nicht an allen Stellen wachsen.
     That sie auf der Esse Feuer,
Ließ die Masse tüchtig kochen,
Brocken von der Eichenrinde,
Gräser von dem schönsten Aussehn.
     Bei dem Kochen lärmt der Grapen
Drei der Nächte nach einander,
Drei der Tage in dem Frühling;

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Schaute dann nach seiner Salbe,

Ob sie nun schon recht gerathen,
Ob das Mittel jetzt schon tauge.
     Noch nicht fertig war die Salbe,
Nicht nach Wunsche noch das Mittel,
Fügt noch Gräser in die Masse,
Kräuter mannigfacher Arten,
Die von anderswo geholet,
Wohl aus hundert Meilen Ferne,
Dort gepflückt von neun der Zaubrer

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Und von acht der besten Seher.

     Kochte nun noch drei der Nächte,
Neun der Nächte nach einander,
Hob den Grapen ab von Feuer,
Und beschaut die Salbe sorgsam,
Tüchtig war die Salbe endlich
Und das Zaubermittel fertig.
     War dort eine äst’ge Espe,
Wuchs am Rande des Gefildes,
War gar böslich durchgebrochen,

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War fast völlig umgeworfen:

Salbte diese mit der Masse,
Schmiert sie mit dem Zaubermittel,
Spricht selbst Worte solcher Weise:
     „Dadurch, daß mit dieser Salbe
Ich den wunden Fleck bestreiche,
Ich den Bruch damit verschmiere,
Soll die Espe gleich genesen,
Schöner als sie je gewesen.“
     Und sogleich genas die Espe,

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Wurde schöner noch denn früher,

Wuchs gar stattlich mit der Krone,
Ward gar kräftig mit dem Stamme.
     Also prüfte er die Salbe,
Prüfte er das Zaubermittel:
Strich damit gespaltne Steine,
Strich gesprungne Felsenblöcke,
Rasch vereinten sich die Hälften
Und zusammen flog Getrenntes.
     Aus der Schmiede kam der Knabe,

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Als die Salbe er bereitet

Und das Mittel angerichtet,
Legt es in die Hand des Alten:
„Hier nun hast du kräft’ge Salbe,
Hast du ein bewährtes Mittel,
Füget Berge fest zusammen,
Einet Felsen ohne Weiters.“
     Mit der Zunge prüft der Alte,
Kostet es mit seinem Munde,
Fand das Mittel gar vortrefflich,

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Fand die Salbe gut gerathen.
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_045.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)