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wenn Du Dir jetzt auch noch nicht vorstellen kannst, wie Du Dich jemals wirst erheben können. Und ich sah ihn, der auf meine grobe Antwort nur sanft den Kopf geschüttelt hatte, mit immer größerer Begierde an. „Wer bist Du?“ fragte ich. „Ich bin ein Jäger“, sagte er. „Und warum willst Du mich nicht hier lassen?“ fragte ich. „Du störst mich“, sagte er, „ich kann nicht jagen, wenn Du hier bist“. „Versuche es“, sagte ich, „vielleicht wirst Du doch jagen können.“ „Nein“, sagte er, „es tut mir leid, aber Du mußt fort.“ „Laß heute das Jagen!“ bat ich. „Nein“, sagte er, „ich muß jagen.“ „Ich muß fortgehen, Du mußt jagen“, sagte ich, „lauter Müssen. Verstehst Du es, warum wir müssen?“ „Nein“, sagte er, „es ist daran aber auch nichts zu verstehen, es sind selbstverständliche natürliche Dinge.“ „Doch nicht“, sagte ich, „es tut Dir ja leid, daß Du mich verjagen mußt, und dennoch tust Du es.“ „So ist es“, sagte er. „So ist es“, wiederholte ich ärgerlich, „das ist keine Antwort. Welcher Verzicht fiele Dir leichter, der Verzicht auf die Jagd oder darauf, mich wegzutreiben?“ „Der Verzicht auf die Jagd“, sagte er ohne Zögern. „Nun also“, sagte ich, „hier ist doch ein Widerspruch.“ „Was für ein Widerspruch denn?“ sagte er, „du lieber kleiner Hund, verstehst Du denn wirklich nicht, daß ich muß? Verstehst Du denn das Selbstverständliche nicht?“ Ich antwortete nichts mehr, denn ich merkte – und neues Leben durchfuhr mich dabei, Leben wie es der Schrecken gibt – ich merkte an unfaßbaren Einzelheiten, die vielleicht niemand außer

Empfohlene Zitierweise:
Franz Kafka: Beim Bau der Chinesischen Mauer (Sammelband). Gustav Kiepenheuer, Berlin 1931, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kafka_Beim_Bau_der_Chinesischen_Mauer_207.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)