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gefunden, um ein Stipendium für Euch zu erwirken, es ist auch wirklich möglich, daß man versucht hätte, Euch in die Stadt zu ziehen, Euch eine Stelle an einer städtischen Volksschule zu verschaffen und Euch so Gelegenheit zu geben, die wissenschaftlichen Hilfsmittel, welche die Stadt bietet, für Eure weitere Ausbildung zu verwerten. Wenn ich aber offen sein soll, so muß ich sagen, ich glaube, man hätte es nur versucht. Man hätte Euch hierher berufen, Ihr wäret auch gekommen, und zwar als gewöhnlicher Bittsteller, wie es hunderte gibt, ohne allen festlichen Empfang, man hätte mit Euch gesprochen, hätte Euer ehrliches Streben anerkannt, hätte aber doch auch gleichzeitig gesehn, daß Ihr ein alter Mann seid, daß in diesem Alter der Beginn eines wissenschaftlichen Studiums aussichtslos ist und daß Ihr vor allem mehr zufällig als planmäßig zu Eurer Entdeckung gelangt seid und über diesen Einzelfall hinaus nicht einmal weiter zu arbeiten beabsichtigt. Man hätte Euch aus diesen Gründen wohl im Dorf gelassen. Eure Entdeckung allerdings wäre weitergeführt worden, denn so klein ist sie nicht, daß sie, einmal zur Anerkennung gekommen, jemals vergessen werden könnte. Aber Ihr hättet nicht mehr viel von ihr erfahren, und was Ihr erfahren hättet, hättet Ihr kaum verstanden. Jede Entdeckung wird gleich in die Gesamtheit der Wissenschaften geleitet und hört damit gewissermaßen auf Entdeckung zu sein, sie geht im Ganzen auf und verschwindet, man muß schon einen wissenschaftlich geschulten Blick haben, um sie dann noch zu erkennen.

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Franz Kafka: Beim Bau der Chinesischen Mauer (Sammelband). Gustav Kiepenheuer, Berlin 1931, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kafka_Beim_Bau_der_Chinesischen_Mauer_150.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)