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welche über ein paar von den Müttern erlernte Gebete hinausgehe. Ein Mädchen in eine Schule zu senden, wäre eine unbegreifliche Forderung gewesen in den Ansichten des XVI. Jahrhunderts. Es waren daher nur Knaben, welche auf den niedrigen Bänken saßen, aber keiner derselben hatte irgend einen der Gegenstände, welche uns jetzt für den Unterricht unentbehrlich scheinen. Kein Buch war zu sehen, geschweige denn Schreib- oder Rechnenmaterial, die Schule begann. Der Küster befahl dem ältesten Knaben zu beten, derselbe stand auf, die anderen Kinder falteten die Hände und schauten zur Erde; ein plattdeutsches Morgengebet wurde hergesagt. Während desselben faltete die Magd, welche am Kamin saß und sich mit Nähen beschäftigte, die Hände; ihre Lippen bewegten sich, sie sprach im Stillen das Gebet nach, welches sie durch tägliches Anhören gelernt hatte.

Nach dem Gebete begann der Gesang. Weiter wurde dazumal in den Dorfschulen nichts gelehrt, als Singen und Beten. Der Küster konnte freilich fertig lesen und mit einiger Geläufigkeit schreiben, aber es wäre ihm sonderbar erschienen, wenn Jemand von ihm verlangt hätte, er solle diese hohen Künste seinen Knaben mittheilen, und verwundert würde er gefragt haben, was die Kinder mit diesen Fertigkeiten beginnen sollten. – Es war ein wunderschöner Gesang, welcher den Kindern gelehrt wurde, ein geistliches Lied, das der Küster vor noch nicht langer Zeit von einem befreundeten Amtsbruder empfangen hatte. Elf Lieder waren bis dahin nur in der Schule gelehrt; sie hatten viel Arbeit gekostet; durch mühsames Vorsagen wurden sie erst auswendig gelernt und so lange wiederholt, bis sie im Gedächtniß der Knaben hafteten; dann sang der Lehrer die Melodie vor und suchte sie den Kindern fest einzuprägen. Von den Kindern lernten sie wiederum die Eltern und so wurde der protestantische Kirchengesang, wenn auch mit vieler Mühe, ermöglicht. Den Gemeinden, welche sich dem gereinigten Evangelio zugewandt hatten, war dieser öffentliche Kirchengesang eine theure Errungenschaft, welche sie mit ganzer Liebe sich aneigneten. Aber derselbe hatte auch einen Klang! Ein Mann aus unserer Zeit hätte nimmer gedacht, daß solch’ ein Gesang ein kirchliches Lied wäre, so

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Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_126.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)