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viel zu gering, als daß es die Angelpunkte der protestantischen Lehre so schnell hätte fassen können. Was half es, die Bibel als den einzigen Probirstein alles dessen aufzustellen, was die Kirche lehrte, wenn unter Hunderten noch nicht Einer war, der sie je gesehen hatte oder lesen konnte? Was konnte es helfen, den so schwer verständlichen Begriff von der Rechtfertigung durch den Glauben in einer Zeit aufzuwerfen, wo sich Alles vor der Gewalt des Pabstes beugte? Aber das fühlte auch das rohe ungebildete Gemüth, daß ein Leben, wie die Geistlichen es führten, keine Nachfolge des Erlösers, sondern ein Schandfleck seines heiligen Namens sei. Jene ganze Zeit war freilich mit Sünde und Uebertretung angefüllt. Fürsten und Grafen, Junker und Knechte lebten zügellos. Rauben und Morden brachte keine Schande. Ein Menschenleben war oft keinen Apfel werth. Ein Einbruch war eine Kleinigkeit, Brandstiftung ein Vergnügen. Unzählige Male lies’t man in den Schriften jener Zeit von den sich befehdenden Großen: „er zog mit Stank davon“, womit das schließliche Anzünden der Überfallenen Häuser, Dörfer und Felder gemeint ist. In diesem wilden und lasterhaften Leben gingen viele Tugenden zu Grunde, aber Eine Tugend blieb in Ehren und wurde gleich einem theuren Kleinode gewahrt, die eheliche Treue. Ungemein selten lesen wir von Verletzungen derselben; man möchte glauben, das eheliche Verhältniß wurde damals heiliger gehalten, als jetzt. Welch einen tiefen und verletzenden Eindruck mußte es aber auf den Geist der Laien machen, daß von den Dienern der Religion gerade die Tugend am Ungescheutesten verletzt wurde, welche sie selbst am Meisten in Ehren hielten.

Ein dritter Grund, durch welchen die Reformation gefördert wurde, war die Persönlichkeit des Erzbischofs. Christoph wurde als Knabe von 13 Jahren vom Erzbischof Johannes Rhode in Bremen zum Coadjutor angenommen. Man erzählt, der Erzbischof habe, von der Ritterschaft gereizt, durch die Annahme eines solchen Mittelregenten den Ständen eine Ruthe binden wollen und erwähnt eine darauf bezügliche Anekdote. Bei einer ritterschaftlichen Versammlung in Basdahl habe ein adliger

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Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 097. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_097.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)