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Archidiakonen. Aber erst nach beinahe zwei Jahrhunderten wagten sie es, die Macht derselben sich anzueignen. Da mußte bei einer neuen Wahl (1231) der Bischof eidlich versprechen, die Archidiakonate im Fall der Erledigung fortan nur den Domherren zu verleihen. Dieser höchst bedenkliche Schritt der Domherren hat ihnen selbst wenig genützt, aber der erzbischöflichen Gewalt und der Kirche selbst unermeßlich geschadet. Vorher saß der Archidiakon in der Mitte seiner Diöcese, um ihn seine Pfarrer und Kaplane. Er selbst hatte seine eigene Gemeinde, kannte das Volk und dessen Bedürfnisse und beurtheilte die Dinge aus persönlicher Anschauung. Seine Einkünfte waren bedeutend, und erlaubten ihm eine unabhängige Stellung. Die Disciplinar-Gewalt, welche er auf seine Geistlichen ausübte, war rasch und traf sicher, denn sein Kreis war so eng, daß seine Rechtspflege nie fehl ging.

Als aber die Domherren mit dieser Würde bekleidet wurden, ging die gedeihliche Wirksamkeit der Einrichtung gänzlich verloren. Die Archidiakonate wurden Vicaren übergeben, die Domherren selbst saßen in der Stadt bei der Kathedrale, hatten keinen seelsorgerischen Gemeindekreis und kannten die Bedürfnisse eines solchen viel zu wenig. Ihre Disciplinar-Gewalt war schwach, weil spät und in der Ferne geübt. Durch den Mangel an naher Beaufsichtigung kam aber in die niedere Geistlichkeit ein mehr und mehr wachsender Unabhängigkeitssinn. Bei dem Eintritte der Reformation zeigte sich dies sehr deutlich. Der Erzbischof und das Domkapitel lebten in offener Fehde und die Strafmacht beider war schwach. Ging ein Dorfgeistlicher zur neuen Lehre über, so fürchtete er sich weder vor dem Erzbischof, der ihm niemals hatte etwas befehlen können, noch vor dem Domherrn, dessen Strafgewalt trage und verspätet war.

Ein zweiter Grund, durch welchen die Reformation begünstigt wurde, war die allgemeine Entsittlichung der katholischen Geistlichkeit. Sie wird von sämmtlichen Geschichtschreibern jener Zeiten als etwas Unleugbares dargestellt und selbst eifrige Katholiken, in denen der sittliche Unwillen nicht durch Partheileidenschaft erstickt ist, sprechen die

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Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 093. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_093.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)