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Blut zu wallen, durch die zarte durchsichtige Haut des Knaben glaubt man zu sehen, wie der purpurne Strom des Lebens unaufhaltsam dahin fließt.

Dies Gemälde drückt ganz den Geist des Heidenthums aus. Hier ist Alles für den gegenwärtigen Augenblick berechnet, selbst der Gott vermag nicht darüber hinaus zu gehen. Ueber das unbestimmte Dunkle hin schwindet das scheidende Leben, keine Hoffnung höherer Art dämmert dem brechenden Blick; und selbst der mächtige Gott der Arzneikunst und der Sonne vermag nicht, dem gebietenden Schicksal zu widerstreben. Aber wie genußreich war auch jene Gegenwart! jenes Leben, in welchem Götter und Sterbliche durch das Band hoher Schönheit vereint, gemeinsam sich der Gunst des Augenblicks erfreuten.

Wie weht dagegen der milde Geist des Christenthums in der dicht daneben aufgestellten Verkündigung unsers Künstlers!

Auf den Stufen des einfachen, seitwärts von einer Palme, dem Sinnbilde des Friedens, beschatteten Hause, knieet, in Demuth vor dem himmlischen Boten hingesunken, Maria. Aus seinem Munde hört die eben hold aufblühende Jungfrau den Willen des Herrn; er hat sie zur gebenedeitesten unter den Weibern, zur Mutter eines Königs erkoren, dessen Reich

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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder. Band 2. Georg Westermann, Braunschweig 1839, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jugendleben_und_Wanderbilder_II_275.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)